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des Verwaltungsstreitverfahrens (u. wo ein solches nicht besteht, im Wege des Rekurses nach Massgabe der §§ 20, 21 Gw.O.) angefochten werden. Die endgültige Auflösung des Vereins muss öffentlich bekanntgemacht werden (§ 2).

Die weiteren Bestimmungen des Gesetzes behandeln nur die politischen Vereine, d. h. solche, die eine Einwirkung auf politische Angelegenheiten bezwecken. Nur diese müssen einen Vorstand und eine Satzung haben. Der Erstere muss binnen einer Frist von 2 Wochen nach Gründung des Vereins die Satzung sowie das Verzeichnis der Mitglieder des Vorstands, nicht das der Mitglieder des Vereins, – wie meistens bisher – der zuständigen Polizeibehörde einreichen. Jede Änderung der Satzung oder der Zusammensetzung des Vorstands ist in der gleichen Frist anzuzeigen. Die Satzung sowie die Änderungen sind in deutscher Fassung einzureichen, doch können die höheren Verwaltungsbehörden hiervon Ausnahmen zulassen (§ 3).

Die sog. wirtschaftlichen Vereine, welche privatrechtlich als „Verein“ anerkannt sind, unterliegen an sich den Vereinsgesetzen nicht (Aktien- u. Aktienkommanditges., eingeschr. Hilfskassen, Ges. m. b. H. usw.) Natürlich können aber auch solche Vereine, wenn sie sich mit politischen Angelegenheiten dauernd beschäftigen, unter das Gesetz fallen. Nur der dauernde Vereinszweck entscheidet.

7. Ausdrücklich ausgenommen sind von der Natur „politischer Vereine“ i. S. des § 3 „Personenmehrheiten, die vorübergehend zusammentreten, um im Auftrage von Wahlberechtigten Vorbereitungen für bestimmte Wahlen zu den auf Gesetz oder Anordnung von Behörden beruhenden öffentlichen Körperschaften zu treffen. Doch gilt diese Privilegierung der sog. „Wahlvereine“, „Wahlkomitees“ ad hoc nur vom Tage der amtlichen Bekanntmachung des Wahltages bis zur Beendigung der Wahlhandlung.

Natürlich finden die Vorschriften des Ges. auch keine Anwendung auf die durch das Gesetz oder die zuständigen Behörden selbst angeordneten Versammmlungen.

8. Das Reichsvereinsgesetz hat das Genehmigungsrecht der Polizeibehörden auf ein Minimum beschränkt. In der Regel genügt eine, überdies stark durchlöcherte Anzeigepflicht. Wer eine öffentliche Versammlung zur Erörterung politischer Angelegenheiten (politische Versammlung) veranstalten will, muss hiervon mindestens 24 Stunden vor dem Beginn bei der Polizeibehörde unter Angabe des Ortes und der Zeit Anzeige erstatten. Über die Anzeige ist von der Polizeibehörde sofort eine kostenfreie Bescheinigung zu erteilen. Diese Bestimmung, die also bloss für öffentliche und politische Versammlungen gilt, ist aber (§ 6) dreifach durchbrochen, sodass praktisch von ihr wenig überbleibt:

a) Einer Anzeige bedarf es nicht für Versammlungen, die öffentlich bekannt gemacht worden sind (entweder durch Zeitungen, Anschlag usw.); die Erfordernisse der Bekanntmachung bestimmt die Landeszentralbehörde.
b) Einer Anzeige bedarf es ferner nicht für Versammlungen der Wahlberechtigten zum Betriebe der Wahlen zu den auf Gesetz oder Anordnung von Behörden beruhenden öffentlichen Körperschaften vom Tage der amtlichen Bekanntmachung des Wahltags bis zur Beendigung der Wahlhandlung.
c) Das gleiche gilt für Versammlungen der Gewerbetreibenden, gewerblichen Gehilfen, Gesellen, Fabrikarbeiter, Besitzer und Arbeiter von Bergwerken, Salinen, Aufbereitungsanstalten und unterirdisch betriebenen Brüche und Gruben zur Erörterung von Verabredungen und Vereinigungen zum Behufe der Erlangung günstiger Lohn- und Arbeitsbedingungen, insbesondere mittels Einstellung der Arbeit oder Entlassung der Arbeiter. ( S. die genauen Ausführungsbestimmungen bei Dr. Müller und Schmid S. 81–94 und S. 97 ffl.) Die Ausnahme, die rein deklaratorische Bedeutung besitzt, wird in der Praxis – wie alle derartigen kasuistischen Bestimmungen – manche Schwierigkeiten machen.

Empfohlene Zitierweise:
Diverse: Handbuch der Politik – Band 1. Dr. Walther Rothschild, Berlin und Leipzig 1914, Seite 257. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Handbuch_der_Politik_Band_1.pdf/277&oldid=- (Version vom 1.8.2021)