Seite:Handbuch der Politik Band 1.pdf/281

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Dieser Text wurde anhand der angegebenen Quelle einmal korrekturgelesen. Die Schreibweise sollte dem Originaltext folgen. Es ist noch ein weiterer Korrekturdurchgang nötig.
Diverse: Handbuch der Politik – Band 1

betreiben.[1] In diesen Rechten darf er nicht gehindert oder durch lästige Bedingungen[2] beschränkt werden, insbesondere nicht um des Glaubensbekenntnisses[3] willen oder wegen fehlender Landes- oder Gemeindeangehörigkeit. Ausnahmen sind jedoch zugelassen im Interesse der öffentlichen Sicherheit und mit Rücksicht auf die öffentliche Armenpflege.

I. Aufenthaltsbeschränkungen und Aufenthaltsverweigerungen sind aus sicherheitspolizeilichen Gründen gegenüber bestraften Personen zulässig. Wenn bei einer Person neben der Freiheitsstrafe auf Zulässigkeit der Polizeiaufsicht auf Grund des § 38 des Reichsstrafgesetzbuchs erkannt ist, so erhält die Landespolizeibehörde die Befugnis, dem Verurteilten den Aufenthalt an einzelnen bestimmten Orten zu untersagen (R.Str.G.B. § 39).[4] Ferner kann Personen, die kraft landesgesetzlicher Vorschriften, die neben dem Freizügigkeitsgesetz und neben dem Reichsstrafgesetzbuch ihre Geltung behalten haben,[5] wegen gewisser Verbrechen oder zu gewissen Strafen verurteilt sind, der Aufenthalt in einzelnen Orten untersagt werden. Wer derartigen Aufenthaltsbeschränkungen in einem Bundesstaate unterliegt oder wer während der letzten zwölf Monate wegen Bettelns oder wegen wiederholter Landstreicherei bestraft worden ist, dem kann von der Landespolizeibehörde der Aufenthalt in jedem anderen Bundesstaate verweigert werden,[6] aus seinem Heimatstaate kann er aber nicht ausgewiesen werden.

Der Orden der Gesellschaft Jesu und die ihm verwandten Orden oder ordensähnlichen Kongregationen sind vom Gebiete des Deutschen Reiches ausgeschlossen. Die Errichtung von Niederlassungen ist ihnen untersagt.[7]

Da der Reichsdeutsche einer fremden Regierung nicht ausgeliefert, aus seinem Heimatstaat nicht ausgewiesen und zur Auswanderung nicht gezwungen werden kann – er kann das Reichsgebiet freiwillig verlassen, wenn er seiner Militärpflicht genügt hat – , so besteht keine Möglichkeit, einem lästigen Inländer den Aufenthalt im Deutschen Reiche unmöglich zu machen.

II. Damit sich die Gemeinden und Armenverbände vor einer Überlastung der öffentlichen Armenpflege schützen können, sind sie befugt, eine neuanziehende


  1. Die Gewerbeordnung für das Deutsche Reich bestimmt im § 1, dass der Betrieb eines Gewerbes jedermann gestattet ist, soweit nicht durch dieses Gesetz Ausnahmen und Beschränkungen vorgeschrieben oder zugelassen sind. Nach § 13 soll die Zulassung zum Gewerbebetriebe in keiner Gemeinde und bei keinem Gewerbe vom Besitze des Bürgerrechts abhängig sein.
  2. Beispielsweise durch Erhebung von Gebühren für Anzug, Abzug oder Aufenthalt, durch die Forderung von Leumunds- oder Vermögensnachweisen. Meyer-Dochow, Deutsches Verwaltungsrecht4 § 23 S. 111.
  3. Durch Gesetz, betr. die Gleichberechtigung der Konfessionen in bürgerlicher und staatsbürgerlicher Beziehung vom 3. Juli 1869 wurden alle noch bestehenden, aus der Verschiedenheit des religiösen Bekenntnisses hergeleiteten Beschränkungen aufgehoben. – Vgl. auch das G. über die Aufhebung der polizeilichen Beschränkungen der Eheschliessung vom 4. Mai 1868, das nur in Bayern nicht gilt.
  4. Die Aufenthaltsbeschränkung kann sich auf Ortschaften oder auf bestimmte Plätze, Strassen und Häuser beziehen, darf aber nicht zu einer Anweisung eines bestimmten Aufenthalts führen. Frank, Kommentar zum R.Str.G.B. § 39 V. Vgl. auch die Begründung zum Vorentwurf eines Deutschen St.G.B. Allgem. Teil 1909 § 182.
  5. Namentlich das preuss. G. über die Aufnahme neuanziehender Personen vom 31. Dez. 1842 § 2. Danach ist die Landespolizeibehörde zur Aufenthaltsbeschränkung, „jedoch nur in Ansehung solcher Sträflinge befugt, welche zu Zuchthaus oder wegen eines Verbrechens, wodurch der Täter sich als einen für die öffentliche Sicherheit und Moralität gefährlichen Menschen darstellt, zu irgend einer andern Strafe verurteilt worden oder in einer andern Korrektionsanstalt eingesperrt gewesen sind“. – Über die landesrechtlichen Bestimmungen in Bayern, Sachsen, Württemberg und Anhalt vgl. Kutzer, Art. Freizügigkeit, Wörterbuch2 1,857.
  6. F.G. § 3 Abs. 2.
  7. Gesetz, betr. den Orden der Gesellschaft Jesu, vom 4. Juli 1872 § 1. Der durch Gesetz vom 8. März 1904 aufgehobene § 2 dieses Gesetzes bestimmte, dass die Angehörigen des Ordens usw., wenn sie Ausländer waren, aus dem Bundesgebiet ausgewiesen wurden; wenn sie Inländer waren, konnte ihnen der Aufenthalt in bestimmten Bezirken oder Orten versagt oder angewiesen werden. Vgl. Falck, Die Rückwirkung einer Aufhebung des Jesuitengesetzes auf die in den deutschen Einzelstaaten schon früher bestandenen Verbotsgesetze über den Orden der Gesellschaft Jesu. Zeitschrift für Völkerrecht und Bundesstaatsrecht. 4,1.
Empfohlene Zitierweise:
Diverse: Handbuch der Politik – Band 1. Dr. Walther Rothschild, Berlin und Leipzig 1914, Seite 261. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Handbuch_der_Politik_Band_1.pdf/281&oldid=- (Version vom 2.8.2021)