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Diverse: Handbuch der Politik – Band 1

Bevölkerung beschränkt. Dieser haben sie ebensowohl den Willen der Zentralgewalt kund gemacht, als sie ihr die Kenntnis von Vorgängen vorzugsweise politischer Natur vermittelt haben. Ihr Erscheinen beruht auf Anordnung der Staatsgewalt; sie sind Regierungsmittel.

Im Gegensatze dazu ist die Zeitung der modernen Völker ein wesentlich soziales Erzeugnis. Entstanden aus den Gewohnheiten des kaufmännischen Verkehrs in den letzten Jahrhunderten des Mittelalters hat sie in der Form des Briefes oder der Briefbeilage zunächst dem Neuigkeitsbedürfnisse der politisch leitenden Kreise gedient und bereits im 15. Jahrhundert an den Mittelpunkten des Verkehrs zur Entstehung handwerksmässiger Avisenschreiber geführt, welche als Korrespondenten einen bald engeren, bald weiteren Kreis von Kunden um Jahreslohn bedienten. Mit der Entstehung der Post als einer dem Publikum zugänglichen Nachrichtenbeförderungsanstalt hat diese die Organisation eines periodischen Nachrichtendienstes übernommen, ist aber mit ihren Monopolansprüchen auf diesen nicht durchgedrungen. Dennoch erhält sich die geschriebene Zeitung bis gegen das Ende des 18. Jahrhunderts.

Neben ihr aber taucht die gedruckte Zeitung, zunächst in der Form von Einzelblättern mit Nachrichten allgemeineren Interesses schon seit der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts auf. Sie verbreitet sich im 16. Jahrhundert über alle Kulturländer Europas und dient neben der Nachrichtenvermittlung auch der politischen, kirchlichen und moralischen Propaganda, meist in ungebundener, aber auch oft in gebundener Rede, so dass sie schon als Trägerin einer öffentlichen Meinung gelten kann. Neben ihr entstehen gegen Ende des 16. Jahrhunderts hauptsächlich aus dem Nachrichtenmaterial der geschriebenen Zeitungen zusammengestellte Halbjahrsübersichten (Messrelationen) und seit dem Beginn des 17. Jahrhunderts gedruckte Wochenzeitungen, die in die Rolle der geschriebenen Zeitungen hineinzuwachsen streben, mit denen sie die Anordnung des Stoffs und die Wege des Nachrichtenbezuges teilen. Sie sind in Deutschland schon 1609 nachzuweisen, in England erst 1622, ihm folgt Holland 1626, Frankreich 1631, Italien 1636, Portugal 1641, Schweden 1644 und Spanien 1661.

Bis zum Ende des 18. Jahrhunderts blieb diese periodische Presse fast reines Nachrichtenveröffentlichungsinstitut, das über das eigene Land am wenigsten unterrichtete und nur etwa über auswärtige Angelegenheiten ein Urteil sich erlaubte. Nur die englische Presse zur Zeit Oliver Cromwells und die für das Ausland in französischer Sprache gedruckten holländischen Zeitungen machten eine Ausnahme. Fast überall wurden die Zeitungen durch ihre Abhängigkeit von den Regierungen, durch Zensur und Privilegientaxen wie auch durch eigentliche Steuern niedergehalten. Dass einzelne von ihnen bereits im 17. Jahrhundert mehrmals wöchentlich und bald täglich zu erscheinen begannen, änderte an diesen Zuständen wenig.

Dagegen vollzog sich in der zu gleicher Zeit entstandenen Benutzung der Presse zur Veröffentlichung von Privatanzeigen eine folgenreiche Neuerung. Sie ging zunächst von eigenen Nachrichtenämtern oder Adresskomptoiren aus, welche sich die Vermittlung von Angebot und Nachfrage gegen Entgelt zur Aufgabe gemacht hatten und für ihre Zwecke eigene Anzeigeblätter (Intelligenzblätter) schufen. In Preussen wurde 1727 dafür ein Staatsmonopol errichtet. Allmählich gaben sich die Intelligenzblätter einen weiteren Inhalt, indem sie einen Teil des Nachrichtendienstes der politischen Zeitungen mit übernahmen, und umgekehrt eigneten sich die letzteren – von England ausgehend – seit der Mitte des 17. Jahrhunderts das private Anzeigewesen an. So entstand in langsamer Entwicklung jene Verquickung öffentlichen und privaten Interesses, welche die moderne Zeitung charakterisiert.

Fast gleichzeitig betrat die periodische Presse den Boden der Diskussion öffentlicher Angelegenheiten auch des eignen Staates, den sie seitdem nicht mehr verlassen hat. Sie stiess dabei auf den heftigen Widerstand der Regierenden; aber in jahrhundertlangem Kampfe hat sich der Gedanke der Pressfreiheit gegenüber den Unterdrückungsmitteln der polizeistaatlichen Bureaukratie durchzusetzen vermocht, und er ist in den konstitutionellen Verfassungen des 19. Jahrhunderts fast überall in irgendeiner Weise sicher gestellt worden. Unter seinem Schutze hat die Zeitungspresse in den letzten Menschenaltern jene gewaltige Umwälzung vollzogen, deren Ergebnisse uns in ihrer heutigen Ausgestaltung vor Augen treten.

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Diverse: Handbuch der Politik – Band 1. Dr. Walther Rothschild, Berlin und Leipzig 1914, Seite 265. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Handbuch_der_Politik_Band_1.pdf/285&oldid=- (Version vom 3.8.2021)