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Diese Frist betrug ursprünglich zwei Jahre, und während noch die Novelle des Jahres 1894 das vollendete achtzehnte Lebensjahr verlangte, war ursprünglich das vierundzwanzigste Lebensjahr vorgesehen. Durch diese Herabsetzungen hat man der wirtschaftlichen Entwicklung, namentlich dem Abzug der ländlichen Bevölkerung nach den Industriestädten Rechnung getragen. Die ländlichen Heimatgemeinden haben ein armenrechtliches Interesse daran, dass die Personen, die sie doch an die Städte verlieren, möglichst bald den Unterstützungswohnsitz ihres neuen Aufenthaltsortes erwerben.[1]

Das Gesetz über den Unterstützungswohnsitz gilt seit 1909 in Helgoland und seit 1910 auch in Elsass-Lothringen, mithin im ganzen Deutschen Reiche mit Ausnahme von Bayern.[2] Im Interesse der Armenpflege der bayrischen Gemeinden steht zu hoffen, dass bald eine Ausdehnung des Reichsgesetzes auch auf Bayern erfolgt.





19. Abschnitt.


Die Presse.
Von
Geh. Hofrat Dr. Karl Bücher,
o. Professor der Staatswissenschaften an der Universität Leipzig.


Unter Presse im Sinne dieser Darstellung wird die Gesamtheit der periodisch erscheinenden Druckschriften verstanden, welche die Veröffentlichung neuer Nachrichten zum Zwecke haben. Mit der Veröffentlichung verbindet sich in der Regel eine Besprechung der neuesten Geschehnisse, teils zum Zwecke der Aufklärung der Leser, teils zu ihrer Willensbeeinflussung. Insofern jene Nachrichten sich vorzugsweise auf das Leben des Staates und der Gesellschaft beziehen, erlangt die Presse eine hohe politische Bedeutung. Sie wird zu einem Leitorgan, durch das die geistigen Strömungen zwischen Volk und Regierung vermittelt werden, durch das aber auch die Parteien der Volksvertretung mit den Massen der Bevölkerung in Verkehr treten, Anregungen unter ihnen verbreiten, wie sie anderseits solche von ihnen empfangen.

Aber mit dieser Charakteristik ist das Wesen der modernen Zeitungspresse keineswegs erschöpft. Gehört sie doch zu jenen sozialen Erscheinungen, welche, anfänglich für einen beschränkten Zweck geschaffen, im Lauf einer langen geschichtlichen Entwicklung immer neue Aufgaben übernommen haben, so dass ihr ursprüngliches Wesen im einzelnen Falle stark zurücktreten oder bis zur Unkenntlichkeit verwischt sein kann. Zwar ihre ältesten Erscheinungsformen, die Staatszeitungen der Römer und der Chinesen, tragen bereits eine Doppelnatur. Sie sind ebensowohl bestimmt, die Völker grosser Reiche mit den Entschliessungen und Befehlen der Zentralgewalt bekannt zu machen, als auch sie über wichtige Vorgänge zu unterrichten, die nicht immer politischer Natur zu sein brauchten. Ihre Wirksamkeit hat sich wohl immer auf die herrschende Schicht der


  1. Der Beginn der wirtschaftlichen Selbständigkeit wurde den heutigen wirtschaftlichen Verhältnissen entsprechend auf das vollendete sechszehnte Lebensjahr festgesetzt, obwohl ein Teil der jungen Leute schon nach dem Verlassen der Schule in die Stadt zieht, also nach vollendetem vierzehnten Lebensjahr. – Bei einer einjährigen Frist wurde es deshalb belassen, weil angenommen wurde, dass sich erst nach einem Jahre entscheiden lässt, ob der Zugezogene sich zum längeren Aufenthalt entscheiden wird.
  2. Die Einführung des Unterstützungswohnsitzgesetzes ist in Bayern noch nicht erfolgt, steht aber nahe bevor (vgl. R.G. vom 30. Juni 1913, R.G.B. S. 495).
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Diverse: Handbuch der Politik – Band 1. Dr. Walther Rothschild, Berlin und Leipzig 1914, Seite 264. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Handbuch_der_Politik_Band_1.pdf/284&oldid=- (Version vom 3.8.2021)