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seine volle Absicht aber nicht zum Ausdrucke bringt; Kasuistik vergisst, übersieht; sie kann zu eng sein bei aller Fülle. Indes auch die abstrakte Fassung ist nicht der Weisheit letzter Schluss; sie lässt Raum für eine Handhabung, die an dem Zwecke des Gesetzes vorbeigeht; sie trägt in sich die Gefahr des allzu Weiten. Ihre Verwendung ist darum nur die Regel, die in zahlreichen Fäden die Ausnahme fordert, sei es erschöpfende Aufzählung (Kasuistik) oder Erwähnung deutlich nur als Beispiel (Exemplifikation).[1] Das Ziel bleibt das Verständnis des Gesetzes, die Möglichkeit des Verständnisses in den Kreisen, die sich nach dem Gesetze richten sollen. Verfassungsgesetze oder Strafgesetze müssen darum anders, schlichter reden als es Gesetze für Handel und Verkehr zu tun brauchen, oder Gesetze für Organisation und Verfahren der Behörden.

Sämtlich sollen sie sich an die gute Sprache des Umgangs halten,[2] nicht schwerfällig, kein Papierdeutsch und am wenigsten ein „Juristendeutsch“ reden. Das viel beredete Juristendeutsch! Zwei Dinge werden bei diesem Worte vermengt. Da sind die Auswüchse eines Kanzleistils, der uns aus der Zopfzeit anhaftet, d. i. den Behörden insgemein, nicht nur den Gerichten, gegen den aber die neuere Zeit einen so entschiedenen Feldzug eröffnet hat, dass wir einen fluchtartigen Rückgang auf der ganzen Linie verfolgen können.[3] Hierauf beruht die Geringschätzigkeit des Wortes. Das trübt das Urteil; denn das Wort hat noch einen andern guten Sinn. Das Juristenhandwerk oder die Gesetzeskunst hat für ihre Eigenheiten eigene Fachausdrücke so gut nötig, wie andre Berufe sich deren gebildet haben. Man darf nicht eine Nomenklatur mit einer den Begriff scharf fassenden Terminologie verwechseln. Im Gegenteil, gut gewählte Fachausdrücke geben der Formulierung erst die begriffliche Schärfe: auch die Gesetzeskunst hat ihre Kunstsprache ausgebildet, freilich zumeist erst für das private Recht, und viel fehlt noch daran, dass die Sprachschwankungen unter den einzelnen Gesetzen ausgeglichen wären.[4] Dass diese Kunstsprache deutsch ist oder in den Einzelheiten deutsch werden soll, ist ein selbstverständliches Streben.

Vernachlässigung im Ausdruck, Verschwommenheit (die sich aus der Sache im Worte spiegelt: eine Promulgation, Interessensphäre u. dergl.), zuweilen auch die Übernahme systematischer Kategorieen in Gesetzesbindung (z. B. „öffentliches“ Recht, „privates Recht“ im Gesetz über die Konsulargerichtsbarkeit) rächen sich unausweichbar durch Schwierigkeiten in der Erkenntnis. An der Sammlung des Stoffes können sich nicht Kräfte genug beteiligen – ihn mit dem Werkzeug der


  1. Vgl. Stammler, Theorie der Rechtswissenschaft S. 589; Oppenheim, Zukunft des Völkerrechts S. 165 fg., 174 (der diese Dinge von einer andern Warte aus betrachtet), v. Schey in der Festschrift zur Jahrhundertfeier des österr. BGB. 1911 I S. 508.
  2. In neuerer Zeit ist mehrfach der Entwurf grösserer Gesetze Sprachkennern zur Prüfung vorgelegt worden, so dem Allgemeinen deutschen Sprachverein das Zolltarifgesetz, die Reichsversicherungsordnung, der Entwurf einer Strafprozessordnung (auch die Eisenbahnverkehrsordnung), das preuss. Wassergesetz.
  3. Aus den Aktenbergen steigen gewiss zuweilen auch endlose, holprig gebaute Perioden auf. Man kann sie rügen. Die Sünde gegen den deutschen Sprachgeist will aber an dem Masse der Arbeit mit gemessen sein und schrumpft da zusammen. Parturinut montes . . Kleinlichkeit und Übertreibung bleiben hierbei nicht immer aus.
    Nicht vergessen sollte man aber auf der andern Seite, dass in einer Zeit der Gleichgiltigkeit gegen das geschriebene deutsche Wort es an Juristen nicht gefehlt hat, die für Reinheit und Schlichtheit und Klarheit des deutschen Sprachgewandes und gegen den Barbarismus forensis eingetreten sind, Männer der Theorie wie der Praxis mit klangvollem Namen: Hommel, Pütter, Svarez, Hugo, Hymmen . . . . Sie haben uns manches deutsche Sprachgut (die Fahrnis, die Errungenschaft, die Tagfahrt, den Tatbestand u. a. m.) gerettet. Ich gedenke, an anderer Stelle darauf zurückzukommen.
  4. Allgemeines in Günther, Recht und Sprache 1898. Bei den einzelnen Gesetzen hat die Durchforschung eindringlich eingesetzt; z. B. für die Zivilprozessordnung: Wach, Handbuch S. 284 f., Mendelssohn Bartholdy in der Rheinischen Zeitschrift für Zivil- u. Prozessrecht IV 1911 S. 1–55, ebenda S. 56 f: Ludwig Seufert, kritisch-alphabetisches Verzeichnis der materiellrechtlichen termini in den §§ . . . der ZPO. und in der umgekehrten Richtung. Herm. Mantel, kritisch-alphabetisches Verzeichnis der zivilprozessualen termini im BGB. (Dissertation Würzburg 1912), Planck (Knoke) Seite L. Wortverzeichnisse müssen den Bestand festlegen (für das BGB. von Gradenwitz, 1902, für das StGB, in der Ausgabe von Binding und Nagler 1905). Sie sind die unerlässliche Vorarbeit für Wörterbücher der Rechtssprache, wie es die Heidelberger Akademie zum BGB. plant und die den Anschluss in dem vorbereiteten allgemeinen Wörterbuch dar deutschen Rechtsprache werden finden müssen.
Empfohlene Zitierweise:
Diverse: Handbuch der Politik – Band 1. Dr. Walther Rothschild, Berlin und Leipzig 1914, Seite 291. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Handbuch_der_Politik_Band_1.pdf/311&oldid=- (Version vom 1.8.2018)