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Diverse: Handbuch der Politik – Band 1

Interessen der Fabrikarbeiter mit denen der Fabrikunternehmer identisch sind, während ihre Klassen-Interessen auseinandergehen. Oder, um ein bekanntes Bild zu gebrauchen: Sie kämpfen gemeinschaftlich um den Futterplatz, aber sie bestreiten einander den Futteranteil. Es ist vollends unrichtig, dass alle Parteipolitik lediglich Interessenpolitik sei. Sie war es nicht, als die heutigen Parteien sich bildeten und ist es auch heute nicht, wo die Interessengegensätze an Schärfe ständig zunehmen.

Aber nicht zu bestreiten ist, dass die Kämpfe der Bevölkerungsklassen und der wirtschaftlichen Gruppen den alten Parteien Englands wie den jüngeren Parteien des Kontinents, insbesondere Deutschlands, gefährlich werden. Und nicht nur den Parteien, sondern dem Staate. Denn, indem sie die bestehenden Parteien zu zersetzen und wirtschaftliche Interessenparteien zu bilden streben, schaffen sie Organisationen, deren Kämpfe ihr Ziel nicht im Gemeinwohl, sondern lediglich in der Niederwerfung des Gegners und der Behauptung des eigenen Interesses des Siegers haben.

Damit aber vergiften sie das parteipolitische Leben. Der Hass ist stets ein übler Berater, auch in der Politik. Gegensätze der Ideen können keinen Parteihass erzeugen; wo dieser sich zeigt, stecken persönliche Feindschaften der Führer oder völkische, gesellschaftliche, wirtschaftliche Reibungen dahinter. Die persönlichen und sozialen Gegensätze, aus denen die alten englischen Parteien entstanden, waren in England überwunden; daher dort die guten Sitten des politischen Kampfes, die erst in neuester Zeit zu schwinden beginnen. In Deutschland beginnen erst jetzt die alten Wunden des Parteikampfes zu vernarben und schon droht der Klassenkampf, schon drohen die wirtschaftlichen Interessengegensätze neues Gift hineinzuträufeln.

Und wie den Parteien, so droht dem Staate Gefahr, wenn diese Strömungen die Oberhand im politischen Leben gewinnen. Staatsfeindlich ist eine Partei nicht schon deshalb, weil sie die gegenwärtige Staatsverfassung bekämpft – denn mehr oder minder wünscht jede Partei den Staat in ihrem Sinne umzuformen; staatsfeindlich ist vielmehr eine Partei dann, wenn sie – offen oder versteckt – ohne Rücksicht auf das Gemeinwohl das Interesse einer Gruppe oder Klasse zu verwirklichen strebt. Denn sie setzt sich in Widerspruch zu den Grundgedanken des Staates.

Zwar wird, wie schon oben gesagt wurde, auch in einer Gemeinschaft das Leben sich nicht ohne Kämpfe abspielen, ja oft der Kampf erst das rechte Leben hervorrufen. Aber in einer Rechtsgemeinschaft, in einem Staate kann der Kampf niemals die Unterwerfung des Gegners unter das eigene Interesse, sondern nur die Beugung seines Willens zum Zwecke des Ausgleiches der beiderseitigen Interessen haben. Ein Kampf, der die Vernichtung des Gegners zum Ziel hat, ist Krieg, auch wenn er nicht mit blanker Waffe, sondern mit wirtschaftlichen Mitteln ausgefochten wird. Der Krieg aber zwischen Gruppen der Bürgerschaft eines Staates ist Bürgerkrieg.

Nur dann werden die historischen und die staatsidealistischen Parteien sich behaupten können, wenn es ihnen gelingt, in sich die Gegensätze der völkischen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Interessen zu vereinigen und auszugleichen. Dies kann ihnen aber nicht glücken, wenn sie sich bald dem einen, bald dem anderen Interesse unterwerfen, sondern nur dann, wenn sie sich zum Schiedsrichter über die streitenden Interessen machen. Sind sie dazu nicht imstande, so haben sie ihre Rolle ausgespielt, mit ihnen aber auch das Parlament, in dessen Leben sie Ordnung brachten. Versagen die Parteien und versagt das Parlament, so werden andere Kräfte den Staat zu retten suchen, wie einst der grosse Kurfürst den Eigennutz der Stände und wie vor zwei Jahrtausenden der grosse Cäsar den Eigennutz der Klassen bändigte.

Die Staatsgefährlichkeit der reinen Interessenpartei wurde aus der Eigennützigkeit ihres Wirkens abgeleitet. Dem Staate und dem Parlament gefährlich sind aber auch Parteien mit internationaler Organisation, mag es sich um Bildungen auf kirchlicher oder auf völkischer oder auf gesellschaftlicher oder auf wirtschaftlicher Grundlage handeln. Denn sie mögen wollen oder nicht, sie werden immer wieder dahin getrieben, ihre Zwecke nicht

Empfohlene Zitierweise:
Diverse: Handbuch der Politik – Band 1. Dr. Walther Rothschild, Berlin und Leipzig 1914, Seite 384. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Handbuch_der_Politik_Band_1.pdf/404&oldid=- (Version vom 20.8.2021)