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Diverse: Handbuch der Politik – Band 1

Auf den ersten Blick scheint das richtige System zu sein: jede Partei erhält so viele Prozente der Mandate, als sie Prozente der Gesamtstimmenzahl hat. Dann würden 25% der Stimmen 25% der Mandate, 50% der Stimmen 50% der Mandate erhalten, in unserem Beispiele also 795 Stimmen 1, 1590 2 Mandate. Grosse Mandatsreste müssten in andrer Weise verteilt werden und bei starker Parteizersplitterung versagt das System ganz.

d’Hondt hat daher einen anderen Gedankengang eingeschlagen. Er sagt: Die Zahl der Sitze, die eine Partei sicher erlangt, hängt von der Verteilungszahl ab. Verteilungszahl ist die Ziffer, die erreicht werden muss, um überhaupt ein Mandat zu erlangen. Je höher diese Zahl ist, um so geringer ist die Zahl der Parteien, deren Stimmstärke diese Zahl erreicht. Mit der Höhe der Verteilungszahl steigt die Stimmüberlegenheit einer Partei, mit ihrer Kleinheit sinkt sie. Die Partei A, die mit 1274 Stimmen die höchste Stimmziffer gewonnen hat, kann zur Verteilungszahl 1274 nur einmal, dagegen zur Verteilungszahl (1274 : 2 =) 637 zweimal, zur Verteilungszahl (1274 : 3 =) 424,6 dreimal gelangen. Aber sicherer ist ihr 1 Sitz mit der Verteilungszahl 1274, als 2 mit der Verteilungszahl 637. Denn mehr als 637 Stimmen können leichter auch andere Parteien haben. Die Wahrscheinlichkeit, 2 Mandate zu gewinnen, ist somit nur halb so gross als die, 1 Sitz zu erreichen, die Wahrscheinlichkeit, drei Sitze zu bekommen, um ein Drittel so gross, wie die, 1 Platz zu erhalten. Daher ist die Stimmstärke der Partei nach Gewinnung des ersten Mandats auf die Hälfte, nach Erreichung des zweiten auf ein Drittel der erreichten Stimmzahl herabzusetzen.

Auf diese Weise ergibt sich folgendes Verfahren zur Feststellung der Verteilungszahl. Man dividiert die Zahl der für jede Partei abgegebenen Stimmen mit 1, dann mit 2, mit 3 usw., bis die Zahl der auf den Wahlkreis entfallenden Mandate – in unserem Beispiele 4 – erreicht ist. Also

A B C D
1274 : 1 = 1274 906 : 1 = 906 640 : 1 = 640 360 : 1 = 360
1274 : 2 = 637 906 : 2 = 906 640 : 2 = 320 360 : 2 = 180
1274 : 3 = 424,6 906 : 3 = 302 640 : 3 = 213 360 : 3 = 120
1274 : 4 = 318,5 906 : 4 = 126,5 640 : 4 = 160 360 : 4 = 90

Erreicht ist die Zahl der Mandate mit 637. Denn die vier Höchstzahlen sind 1274, 906, 640, 637. Die Höchstzahl, mit der ihrer Reihenstelle nach die Zahl der Mandate erreicht ist, bildet die Verteilungszahl, also hier 637. Demgemäss erhält A 2, B und C 1 Mandat. Für die Stimmenverteilung sind also unmittelbar und ausschliesslich die Stimmstärken-Abstände zwischen den Parteien maasgebend.

E) Abgeschwächte Proportionalwahl. Dem Zwecke, arbeitsfähige Kleinheiten zu sichern, wie sie besonders parlamentarisch regierte Staaten brauchen, dient

1. Das Quorum. Parteien, die nicht einen gewissen Mindestprozentsatz (das Quorum) der abgegebenen Stimmen (15%, ⅙, ¼ ) oder gar ein gewisses Vielfaches hiervon (z. B. multipliziert um die Zahl der Mandate des Wahlkreises) erreicht haben, werden bei der Verteilung ausgeschlossen. Quorum gilt für politische Wahlen in Schwyz, Solothurn, Neuenburg, für gemeindliche in Belgien.

2. Die Majoritätsprämie. Die absolut oder relativ stärkste Partei erhält alle Restmandate.

3. Die Berechnung des Wahlquotienten nicht von der Zahl der abgegebenen Stimmen, sondern der (viel höheren Zahl) der in die Wählerliste eingeschriebenen Wahlberechtigten. 200 000 waren z. B. eingeschrieben, nur 160 000 wählten.

VI. Länder der Verhältniswahl. Für sozialpolitische Wahlen ist Proporz häufig.[1] Nach deutschem Reichsrechte ist er obligatorisch für die Wahl der Beisitzer des Kaufmannsgerichtes und für die Wahl der Arbeitgeber- und der Versicherten-Vertreter bei der Reichsversicherung. In Württemberg, Bayern und Baden gilt verhältnismässige Vertretung für Gemeindewahlen.[2]


  1. H. Schulz, Die Wahl, insbes. die Vorh.-W., in der Sozialvers. 1913.
  2. In Oldenburg können die Gemeinden V. einführen.
Empfohlene Zitierweise:
Diverse: Handbuch der Politik – Band 1. Dr. Walther Rothschild, Berlin und Leipzig 1914, Seite 442. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Handbuch_der_Politik_Band_1.pdf/462&oldid=- (Version vom 2.9.2021)