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abgestufte Klassensteuer und die Ersetzung der alten Akzise in den grösseren Städten durch die Mahl- und Schlachtsteuer. Der Klassenschematismus der Gewerbesteuer wurde etwas feiner ausgestaltet, das Stempel- und Registerwesen und die Salzsteuer im ganzen Lande einheitlich geordnet, die Tabak-, Bier-, Branntwein- und Weinsteuer neu geregelt. Die Grundsteuer dagegen blieb in dem alten Zustande provinzieller Verschiedenheit. Wenn auch Besserungen im einzelnen unverkennbar sind, so hafteten dem Reformwerk doch schwere Gebrechen an: durch die verschiedene steuerliche Behandlung von Stadt und Land verzichtete man von vornherein auf eine wahre Gleichmässigkeit in der Besteuerung; die Klassensteuer drückte schwer auf die untern Klassen, während sie die Vermöglicheren stark begünstigte; der Grossgrundbesitz war so gut wie steuerfrei; die Verbindung der Gebäudesteuer mit der Grundsteuer und die provinziellen Verschiedenheiten im Grundsteuerwesen waren weitere Mängel. Wenn dieses Steuerwesen bis 1851 in Bestand bleiben konnte, so war dies nur dem Umstande zuzuschreiben, dass infolge des Rückganges der Ausgaben und des allmählichen Aufschwunges des Wirtschaftslebens die Steuerlasten sich in mässigen Grenzen hielten.

Die revolutionäre Bewegung von 1848 brachte die Steuerreform neuerdings in Fluss. Es wurde gesetzlich bestimmt, dass die Steuergesetzgebung einer Revision unterstellt, alle Bevorzugungen abgeschafft, neue nicht mehr eingeführt werden sollten. Durch Gesetz vom 1. Mai 1851 wurde die Klassensteuer durch die Klassen- und klassifizierte Einkommensteuer ersetzt und der letzteren alles Einkommen von mehr als 1000 Talern unterworfen. Man war damit dem Prinzip der Einkommensteuer näher gekommen und traf das höhere Einkommen aus Gewerbe- und Immobilienbesitz, dem fundierten Charakter dieses Einkommens entsprechend, doppelt. Ein Mangel blieb die unzureichende Erfassung der Kapitalrente und die ungenügende Veranlagung. Im Jahre 1861 kam nach langer Verzögerung auch die Neuregelung der Grundsteuer und die Verselbständigung der Gebäudesteuer zustande. An der Gewerbe-, der Stempel- und Erbschaftssteuer wurden Änderungen vorgenommen, eine Eisenbahn- und Bergwerksteuer neu eingeführt. Vergleicht man die Jahre 1850 und 1861 mit einander, so hat sich eine nur unbedeutende Verschiebung in der Verteilung der Steuerlast zwischen den Erwerbs- und Besitzsteuern einerseits, den Verbrauchssteuern und Zöllen andererseits zugunsten der ersteren vollzogen. Während nämlich 1850 die ersteren etwa 4,60, die letzteren 4,39 Mk. auf den Kopf der Bevölkerung betrugen, sind es im Jahre 1861 5,50 und 6,06 Mk. gewesen. Immerhin ist das Ergebnis in diesem Sinne erheblich günstiger als die Steuerausteilung in dem Frankreich und England jener Zeit.

Aber auch nach der eben erwähnten Regelung war die Klassen- und klassifizierte Einkommensteuer, die sich immer mehr zur beherrschenden direkten Steuer entwickelte, recht unvollkommen. Das Fehlen einer Untergrenze bei der Klassensteuer, die Festsetzung einer Obergrenze bei der Einkommensteuer bewirkte dort starke Härten, hier unberechtigte Vergünstigungen. Der Unterschied von Klassen- und Einkommensteuer war überhaupt nicht mehr haltbar; auch die Abgrenzung der einzelnen Stufen entsprach den Verhältnissen nicht mehr. Die Steuerreform vom 25. Mai 1873 hielt zwar an der Zweiteilung der Steuer noch fest, vermehrte aber die Zahl der Steuerstufen, hob die obere Grenze auf und bestimmte als Untergrenze ein Einkommen von 140 Talern. Auch wurden die Steuersätze in den 12 Stufen der Klassensteuer degressiv gestaltet, während sie bei der Einkommensteuer prozentual blieben; bei den beiden untersten Stufen durften bereits damals besondere die Leistungsfähigkeit des Steuerpflichtigen mindernde Umstände im Ausmasse der Steuer berücksichtigt werden. Die Mahl- und Schlachtsteuer wurde als Staatssteuer aufgehoben und durch die Klassensteuer ersetzt. War die Befreiung der kleinsten Einkommen bei dieser Reform mehr aus steuerpolitischen Erwägungen gewährt worden, nämlich um die lästige und kostspielige Erhebung bei den zahlreichen kleinen Leuten zu beseitigen, so geschah die Erhöhung des Existenzminimums im Jahre 1883 auf 900 Mk. und die Ermässigung einzelner Sätze der Klassensteuer und der unteren Stufen der Einkommensteuer doch schon unter dem Antrieb sozialpolitischer Rücksichten, für welche die deutsche Wissenschaft seit den 1870er Jahren einzutreten begonnen hatte.

Eine grundlegende Umgestaltung des direkten Steuerwesens brachten die Jahre 1891 und 1893. Das Gesetz vom 24. Juni 1891 hob die längst unhaltbar gewordene Scheidung zwischen der Klassen- und der klassifizierten Einkommensteuer auf und schuf an deren Stelle eine einheitliche

Empfohlene Zitierweise:
Diverse: Handbuch der Politik – Band 2. Dr. Walther Rothschild, Berlin und Leipzig 1914, Seite 125. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Handbuch_der_Politik_Band_2.pdf/141&oldid=- (Version vom 12.9.2021)