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ihnen am Herzen lag, ja sogar teilweise einen Ausdruck nivellierend-kosmopolitischer Bestrebungen, der von einer nationalen Idee kaum etwas übrig liess. Aber gegenwärtig war den Konservativen der nationale Gedanke, und zu einer späteren Zeit gewann auch die ldee der politischen Einigung von ganz Deutschland die entschiedenste Zustimmung bei ihnen.

Die äussere Organisation brachte den konservativen Anschauungen und Bestrebungen das Jahr 1848. Jetzt schufen sich die Konservativen ein grosses publizistisches Organ, die Neue Preussische (Kreuz-)Zeitung. Sie bildeten Vereine und agitierten.

Der Kampf von 1848 war wesentlich ein Kampf um die Verfassung. Die Liberalen und die Demokraten erhielten als die eifrigsten Verfechter der Forderung einer Verfassung zunächst die politische Führung. Sehr bald indessen offenbarte es sich, dass sie der Aufgabe der Führung nicht gewachsen waren, nicht zu regieren wussten. Die Konservativen erwiesen sich als die politisch Fähigeren. Die konservativen Elemente und die konservativen Anschauungen boten den festeren Halt. Man sah überhaupt in einem konservativen Regiment die beste Stütze gegen die Fortsetzung oder Erneuerung der Revolution. So bewirkten die Erfahrungen des Revolutionsjahrs eine Verstärkung der konservativen Position.

Mit den konstitutionellen Einrichtungen befreundeten sich die Konservativen seit 1848. Zwar hat eine Gruppe sie noch rückgängig machen wollen. Allein solchen Versuchen wurde innerhalb der konservativen Partei selbst Widerstand geleistet. Und es bleibt ein Verdienst der Konservativen, dass sie unter Ablehnung der Verfassungsformen, die die Volkssouveranetät zum Ausdruck bringen wollten, das Recht des Monarchen dauernd verteidigten. Der erste Theoretiker, der klar und scharf das monarchische und das parlamentarische Prinzip in der konstitutionellen Verfassung unterschieden hat, ist ein Konservativer gewesen, J. F. Stahl. Er hat die Form der konstitutionellen Monarchie empfohlen, die Bismarck zur praktischen Wahrheit gemacht hat und die für Deutschland und seine Einzelstaaten die notwendige Verfassungsform ist.

Das Wahlrecht, das Preussen in jener Zeit erhielt, ist das Dreiklassenwahlrecht. Es sei hier angemerkt, dass dies nicht etwa, wie heute so oft behauptet wird, einem besonderen Wunsch des Landadels der östlichen Provinzen entsprungen ist. Es ist vielmehr von bürgerlichen rheinischen Politikern eingeführt worden und stammt auch aus der Rheinprovinz, nämlich aus der rheinischen Gemeindeordnung von 1845. In der Frage des Wahlrechts gingen Konservative und Liberale (anders die Demokraten) damals kaum auseinander, wie denn auch in der Zeit der Neuen Ära die Liberalen, als sie die Kammermehrheit hatten, nicht daran dachten, das Wahlrecht zu ändern.[1]

Für die spätere Gestaltung der Parteiverhältnisse ist die Politik Bismarcks von eingreifendem Einfluss gewesen, und zwar sind zwei Perioden dieses Einflusses zu unterscheiden.

Die erste setzt mit dem J. 1866 ein. Die territorialen Veränderungen, die damals durchgeführt wurden, verstiessen gegen das alte konservative Programm der Legitimität. Trotzdem bekannten sich die preussischen Konservativen (von einer vereinzelten Ausnahme abgesehen) mit überraschender Schnelligkeit zu der neuen Gestaltung der Dinge; einer Schnelligkeit, die nur verständlich wird, wenn man sich gegenwärtig hält, dass die nationale Idee von jeher in ihrem Kreis eine grosse Rolle spielte.[2] Die Unzufriedenheit mit Bismarcks Werk von 1866 war bei den Liberalen (Gervinus!) und gar den Demokraten ungleich mehr verbreitet als bei den Konservativen. Die Siege von 1866 brachten der konservativen Partei auch bei den politischen Wahlen grosse Erfolge.

Wenn die Konservativen sich also durchaus auf den Boden der neuen Ereignisse stellten und von ihnen sogar Nutzen zogen, so waren sie dagegen nicht damit einverstanden, dass Bismarck mit seinen Gegnern aus der Konfliktszeit Anknüpfung suchte. Das Indemnitätsgesetz, das diesem Zweck diente, berührte viele von ihnen unsympathisch, weil es in Widerspruch mit der verfassungsrechtlichen


  1. Über diese Verhältnisse, z. B. über Mommsen als Gegner des allgemeinen gleichen Wahlrechts vgl. Gustav Mayer, Die Trennung der proletarischen von der bürgerlichen Demokratie in Deutschland (1863–70), Archiv für die Geschichte des Sozialismus Bd. 2, S. 3.
  2. Näheres über das Verhältnis der Konservativen zu der nationalen Idee s. in meinem Aufsatz über die Anfänge der konservativen Partei in Preussen.
Empfohlene Zitierweise:
Diverse: Handbuch der Politik – Band 2. Dr. Walther Rothschild, Berlin und Leipzig 1914, Seite 3. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Handbuch_der_Politik_Band_2.pdf/19&oldid=- (Version vom 29.8.2021)