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der öffentlichen Mächte, Parlamente, Rathäuser, Ministerien und zahllose andere Verwaltungsgebäude; die Gerichte; die Lehranstalten, von den Universitäten bis zu den Volksschulen; die Verkehrsbauten, Bahnhöfe und Postgebäude; die Krankenhäuser und die Kasernen; endlich die Ingenieurbauten, Brücken u. dergl.; sie alle haben zu wetteifern mit dem hochgespannten Aufwand der privaten Bautätigkeit für Geschäfts-, Vergnügungs- und Wohnzwecke. Von dem wechselnden Kunstbedürfnis der Generationen hängt es ab, wie weit bei allen diesen Aufgaben die verantwortlichen Behörden und Körperschaften ein Interesse und eine Pflicht darin sehen, ihre Bauten zum Ausdruck der künstlerischen Tendenzen ihrer Zeit zu erheben. In Deutschland ist auf die solide, aber äusserst anspruchslose Bürgerkunst der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts nach 1870 eine Lust an lautem, oft übertriebenem Aufwand gefolgt. Die Überschätzung nachgeahmter Stilformen ist seit etwa fünfzehn Jahren einer gesunderen Auffassung gewichen, die mehr durch die künstlerische Anordnung der Massen und Gruppen als durch vielerlei Beiwerk zu wirken sucht.[1] Ein neues, für die Kunst und die Wohlfahrt gleich wichtiges Problem des öffentlichen Bauwesens sind die Anlage der Strassen und Plätze, die Stadterweiterung und die Planung neuer Siedelungen geworden; diese „Städtebaukunst“ wird in England, Deutschland und den Vereinigten Staaten von Nordamerika mit leidenschaftlicher Hingabe gepflegt.

Das Bauwesen stellt Aufgaben, die notwendig gelöst werden müssen, und sei es auch ohne künstlerischen Einschlag. Dagegen ist die Förderung der freien Künste, der Plastik und der Malerei, ganz von dem Willen und der Einsicht der beteiligten Körperschaften abhängig. Ein Vergleich mit den klassischen Zeitaltern der Kunst fällt nicht zu unseren Gunsten aus. Die Bildhauer müssen ohne inneren Anteil eine Unzahl von Porträt-Denkmälern herstellen, die nur um des Dargestellten willen bestellt werden; was sie aus freier Seele ihrem Volke gestalten möchten, geht meist als Skizze zugrunde. Die französische Republik hält an der Tradition bedeutender Staatsaufträge für Bildhauer fest; in Deutschland hat die Stadt München rühmliche Beispiele gegeben. Noch unzulänglicher wird bei uns die monumentale Malerei bedacht. Die wertvollsten Aufträge geraten in die Hand der Routiniers; gegen mutige, zeitgemässe Versuche empört sich der Philistergeist; man lässt die Besten nicht zu Worte kommen und jammert, dass bei diesen Zuständen sich keine Schule der Wandmalerei herausbildet. Die französische Malerei ist noch immer der unsrigen auch dadurch überlegen, dass die berufenen Instanzen das Werdende erkennen und zu unterstützen wagen. Wir sollten weniger brave Ölbilder für unsere Museen kaufen und statt dessen den jüngeren Kräften Platz schaffen, sich im Raume und an der Wand zu erproben.

3. Das Zeitalter der Romantik hat die europäische Welt gelehrt, das Erbe der Vergangenheit zu schätzen. Neben der lebenden Kunst ist deshalb die Erhaltung des alten Kunstbesitzes seit langem ein ernstes Ziel der Kunstpflege.[2] Um die älteren Baudenkmäler zu untersuchen und zu erhalten, ist in Paris schon 1837 die Commission des monuments historiques eingesetzt worden, auf Anregung von Viollet-le-Duc, dem tätigsten französischen Architekten seiner Zeit. In Preussen ist schon 1844 ein Konservator der Kunstdenkmäler angestellt und seither eine über alle Provinzen ausgebreitete Organisation durchgeführt worden. Fast alle Kulturstaaten sind damit beschäftigt, ihren Bestand zu verzeichnen und in meist reich illustrierten Werken zu veröffentlichen, besonders eingehend die verschiedenen Staaten, Provinzen und Städte des deutschen Reiches. Gesetze regeln die Verpflichtung zur Erhaltung der Bauwerke und suchen die Verunstaltung der Orte und der Landschaften zu verhindern.[3]

Seit 1899 erscheint eine Zeitschrift „Die Denkmalspflege“; ein „Tag für Denkmalpflege“ vereinigt alljährlich die Freunde der Sache, Architekten und Historiker; die mehr volkstümliche Arbeit des Bundes „Heimatschutz“ sucht die Liebe zu alter und neuer Kunst im Sinne des Heimatlichen


  1. Herm. Muthesius, Stilarchitektur und Baukunst. 2. Aufl. Mühlheim a. Ruhr 1903.
  2. A. v. Wussow, Die Erhaltung der Denkmäler in den Kulturstaaten der Gegenwart. Berlin 1885.
  3. H. Lezius, Das Recht der Denkmalpflege in Preussen. Berlin 1908. – K. Heyer, Denkmalspflege und Heimatschutz im deutschen Recht. Berlin 1912. – F. W. Bredt, Die Heimatschutzgesetzgebung der deutschen Bundesstaaten. Düsseldorf 1912.
Empfohlene Zitierweise:
Diverse: Handbuch der Politik – Band 3. Dr. Walther Rothschild, Berlin und Leipzig 1914, Seite 167. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Handbuch_der_Politik_Band_3.pdf/183&oldid=- (Version vom 28.11.2021)