Seite:Handbuch der Politik Band 3.pdf/291

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Dieser Text wurde anhand der angegebenen Quelle einmal korrekturgelesen. Die Schreibweise sollte dem Originaltext folgen. Es ist noch ein weiterer Korrekturdurchgang nötig.
Diverse: Handbuch der Politik – Band 3

Autoritäten über afrikanische Sprachen. Dies führt uns auf die überseeischen Bestrebungen kulturlicher Art. Deutsche Wissenschaft und Kunst hat alle Länder der Erde irgendwie beeinflusst. Die japanische Medizin und Jurisprudenz ist ganz, und die geschichtlichen Wissenschaften sind zu einem grossen Teile auf deutscher Grundlage aufgebaut. Ich erinnere an die Austauschprofessoren und die Hochschätzung deutscher Gelehrsamkeit. Die Musik Richard Wagners hat die ganze Welt erobert. Politisch kommen derartige Bestrebungen insofern zum Ausdruck, als die Reichsregierung Kirchen und Schulen im Auslande unterstützt. Der beständig wachsende Betrag, der von Reichswegen für jene Schulen ausgeworfen wird, beläuft sich jetzt auf 1 000 000 Mark. Man darf dem gegenüberstellen, dass das kleinere Italien schon vor fünfzehn Jahren eine Million Lire für den gleichen Zweck ausgab und jetzt 2 Mill. jährlich bereitstellt. Der „Verein für das Deutschtum im Ausland“ und der Alldeutsche Verband wie Langhans’ „Deutsche Erde“, wirken ebenfalls darauf hin, dass der Zusammenhang zwischen den Auslandsdeutschen und der Heimat gewahrt bleibe; die Tätigkeit der Kolonialgesellschaft und des Flottenvereins dient wenigstens indirekt der gleichen Absicht. Der Einfluss, den die deutsche Kultur ausübt, hat demgemäss zwei Wurzeln. Einmal gründet er sich auf die Bildungsmacht des grossen Deutschen Reiches, dann aber auf die Wirksamkeit der Deutschen, die an Ort und Stelle im Auslande tätig sind. Sehr häufig ist das ungemein rege Vereinsleben unserer Landsleute im Auslande mit wissenschaftlichen und künstlerischen Bestrebungen verquickt, deren Ausstrahlungen nicht verfehlen, auch das Wirtsvolk mit in ihren Bann zu ziehen. In diesem Sinne hat vor allem die Deutsche Ostasiatische Gesellschaft in Tokio, und haben die deutschen Akademien in Buenos Aires und St. Jago de Chile weitgehende Anerkennung errungen. Andere Kulturströme werden durch Studienreisen vermittelt, die immer mehr in Schwang kommen. Jahr für Jahr wird Deutschland von englischen Bürgermeistern und Arbeiterführern, von amerikanischen Professoren, von japanischen und chinesischen Offizieren, wird Bayreuth von einer Schar ausländischer Musiker, München beständig von Hunderten fremder Maler besucht, um von uns zu lernen. Daneben werden deutsche Monteure, Minen-Ingenieure und Elektriker, deutsche Ärzte und Kaufleute zu Hunderten in ausländische Dienste übernommen, um draussen deutsche Errungenschaften zu verbreiten. Die Volker fühlen instinktiv, dass sie noch einer Ergänzung bedürfen, und dass sie diese im deutschen Wesen finden.

Über die Ausgestaltung unserer Expansion gibt es im wesentlichen zwei, nicht leicht miteinander versöhnbare Ansichten. Die eine Meinung ist die, dass Deutschland auf Territorialerwerb verzichten müsse, dafür jedoch kommerzielle und kulturelle Eroberungen anstreben solle. Ihren erschöpfenden Ausdruck hat diese Meinung, die weitaus am meisten Anhang in Deutschland hat, in dem Buche Rohrbachs „Der Deutsche Gedanke in der Welt“ gefunden. Zur Beförderung unserer kulturellen Einwirkungen sind gerade in letzter Zeit verschiedene Gesellschaften entstanden; überwiegend beziehen sie sich auf die Verbreitung deutscher Kultur in der Türkei, in Schweden, Griechenland, Aegypten, in China und Südamerika. Das kulturelle Moment ist mit dem industriellen verknüpft. Die Verfechter der industriellen Ausdehnung weisen darauf hin, dass Neuland für unsere Bauern schon deshalb unnötig sei, weil der Geburtenüberschuss mühelos von der Industrie aufgesogen werde, und weil ausserdem unsere eigene Landwirtschaft der Tagelöhner ermangele. Die entgegengesetzte Ansicht erstrebt Landzuwachs für das Deutsche Reich, besonders Bauernland. Wenn alljährlich acht- bis neunhunderttausend neue Kräfte der Industrie zugute kämen, so entstünde schon in zwanzig Jahren ein derartiges Uebergewicht der Industrie über die Landwirtschaft, dass die ganze Schichtung unserer Gesellschaft dadurch umgestürzt würde. Wohin übermässiger Industrialismus führe, das zeige England mit seinen Nahrungssorgen. Die Grundlage unserer Weltmacht müsse notwendig durch territoriellen Zuwachs erweitert werden, auch werde Bauernsiedelung sofort erfolgen, wenn der Boden billig zu erhalten sei. Das könne allerdings – das wird zugestanden – nur durch einen Krieg errungen werden. Es gibt noch eine dritte Gruppe von Politikern, deren Ansicht einigermassen in der Mitte steht, nämlich von solchen, die zwar neuen Territorialerwerb für wünschenswert halten; jedoch nur einen in aussereuropäischen, vorzugsweise in tropischen Gegenden. Solcher Erwerb sei nützlich, um unserer Industrie neue Rohstoffe zuzuführen. Ausser Pflanzenstoffen, die für unsere Fabriken unentbehrlich sind, handelt es sich da vor allem um Metalle. Um neue Bezugsquellen für Metalle zu gewinnen, ist jedoch nicht unbedingt Territorialerwerb von nöten, auch Kauf von Erzfeldern usw. unter fremder Flagge wird erstrebt.

Empfohlene Zitierweise:
Diverse: Handbuch der Politik – Band 3. Dr. Walther Rothschild, Berlin und Leipzig 1914, Seite 275. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Handbuch_der_Politik_Band_3.pdf/291&oldid=- (Version vom 9.12.2021)