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Diverse: Handbuch der Politik – Band 3

notwendig sind, hat 1891 eine bedeutende Spezialisierung und Verschärfung erfahren. Sie ist zugleich erweitert worden durch die Verpflichtungen, die zur Sicherung gefahrlosen Betriebes nötigen Vorschriften über seine Ordnung und über das Verhalten der Arbeiter sowie die zur Aufrechterhaltung der guten Sitten und des Anstandes erforderlichen Einrichtungen und Vorschriften zu treffen, auch für Arbeiter unter 18 Jahren die nötigen besonderen Rücksichten auf deren Gesundheit und Sittlichkeit walten zu lassen. Ergänzend treten hinzu ein weitgehendes Verordnungsrecht des Bundesrats und der Landesbehörden hinsichtlich bestimmter Arten von Anlagen sowie ein polizeiliches Verfügungsrecht, das ihre Durchführung in den einzelnen Betrieben, nötigenfalls durch deren Schliessung gewährleistet. Für die Bergarbeiter gelten in diesen Hinsichten die landesgesetzlichen Schutzvorschriften, für die Handelsangestellten analoge Vorschriften des Handelsgesetzbuchs. Vorschriften zur Verhütung von Unfällen werden auch von den Vorständen der Unfallberufsgenossenschaften nach Massgabe des Unfallversicherungsgesetzes unter Mitwirkung der Arbeiter erlassen. Sie betreffen gleichfalls die Einrichtungen der Betriebe und das Verhalten der Arbeiter.

Der Bruch des Arbeitsvertrages, eine vielbeklagte Massenerscheinung, hat nur zivilrechtliche Folgen, da seiner Bestrafung der Reichstag wiederholt die Zustimmung versagt hat. Die Beschreitung des Rechtswegs ist aber beiden Teilen erleichtert durch Gewährung einer gesetzlich normierten Entschädigung bei erwiesenem Vertragsbruch, die an einen Schadensnachweis nicht gebunden ist, jedoch andere Ansprüche ausschliesst. Lohneinbehaltungen als Vertragsstrafen dürfen einen gesetzlichen Höchstbetrag nicht übersteigen. Verleitung zum Vertragsbruch durch einen Arbeitgeber macht diesen mithaftbar, ebenso wissentliche Annahme eines vertragsbrüchigen Arbeiters. Für Betriebe mit mehr als 20 Arbeitern gilt die gesetzliche Entschädigung nicht. Hier muss der Arbeitgeber sich daher im Arbeitsvertrage eine Lohnverwirkung ausbedingen, die aber den Betrag des durchschnittlichen Wochenlohnes nicht übersteigen darf.

Einen Maximal- oder Normalarbeitstag kennt das Gesetz für erwachsene männliche Arbeiter nicht. Wohl aber besteht ein „gesundheitlicher Höchstarbeitstag“, doch nur als fakultativer, indem der Bundesrat die Landeszentral- oder die Polizeibehörde für solche Gewerbe, letztere eventuell auch für solche Einzelbetriebe, in denen durch übermässige Arbeitsdauer die Gesundheit der Arbeiter gefährdet wird, Dauer, Beginn und Ende der zulässigen täglichen Arbeitszeit und der Pausen vorschreiben kann. Der Bundesrat hat davon für Bäckereien, Mühlen, Gast- und Schankwirtschaften und für die Grosseisenindustrie Gebrauch gemacht. Daneben schreibt das Gesetz für alle offenen Verkaufsstellen und dazu gehörigen Kontore und Lagerräume eine Mindestruhezeit von 10 Stunden, für grössere Orte und Geschäfte von 11 Stunden, nach Beendigung der täglichen Arbeit und innerhalb der letzteren eine angemessene Mittagspause vor. Zu ihrer Sicherung dient der obligatorische Ladenschluss von 9 Uhr abends bis 5 Uhr früh, an dessen Stelle auf Antrag von mindestens ⅔ der beteiligten Geschäftsinhaber für eine Gemeinde der Achtuhrladenschluss treten kann. In den preussischen Bergwerken darf an Stellen, wo die gewöhnliche Temperatur mehr als 28 Grad Celsius beträgt, die Arbeitszeit 6 Stunden nicht übersteigen. Über- und Nebenschichten sind hier verboten. Jeder Schicht muss eine mindestens achtstündige Ruhezeit voraufgehen. Die regelmässige Arbeitszeit darf durch die Ein- und Ausfahrt nicht um mehr als eine halbe Stunde verlängert werden.

Eine Arbeitsordnung muss jeder Betrieb mit mehr als 20 Arbeitern und jede offene Verkaufsstelle mit mindestens 20 Gehilfen und Lehrlingen haben. Sie muss gewisse Punkte und kann gewisse andere des Arbeitsverhältnisses regeln. Die ersteren betreffen: Anfang und Ende der Arbeitszeit und die Pausen, Abrechnung und Lohnzahlung, Kündigungsfrist und Gründe für vorzeitige Aufhebung des Arbeitsverhältnisses, Vertragsstrafen und Lohnverwirkung; die letzteren: die Ordnung des Betriebs und das Verhalten der Arbeiter. Die Arbeitsordnung erlässt der Arbeitgeber einseitig, worin materiell ein Widerspruch zu dem in § 105 GO. an die Spitze des Tit. 7 gestellten Prinzips des „freien Arbeitsvertrags“ liegt, nach welchem die Festsetzung des Arbeitsverhältnisses „Gegenstand freier Übereinkunft“ sein soll. Sie soll aber dem Arbeiter, da dieses Prinzip im Leben regelmässig keine Verwirklichung findet, wenigstens eine sichere Kenntnis vom wesentlichen Inhalte, den der Arbeitgeber dem Arbeitsvertrage gibt, und von dessen Abänderungen

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Diverse: Handbuch der Politik – Band 3. Dr. Walther Rothschild, Berlin und Leipzig 1914, Seite 14. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Handbuch_der_Politik_Band_3.pdf/30&oldid=- (Version vom 5.11.2021)