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Diverse: Handbuch der Politik – Band 3

dem Schutze des kaiserlichen Aars die Verhältnisse soweit verschoben hatten, dass auch den fernsten Binnenländern der Wert und die Bedeutung des Seeverkehrs für sein wirtschaftliches Wohlergehen nicht länger verschlossen bleiben konnte, ward man inne, dass ohne eine hinreichende Flottenmacht dieser Seeverkehr nicht so frei sich entfalten konnte, wie dies für die mit ihm verknüpften und in immer grösserem Massstabe anwachsenden Interessen unbedingt erforderlich war.

Immerhin bedurfte es einer nicht geringen Mühe, bis diese Ueberzeugung Gemeingut wurde, und es wird allezeit dem im Sommer 1897 an die Spitze der Marineverwaltung berufenen Staatssekretär Tirpitz als ein besonderes Verdienst anzurechnen sein, dass seine erste Arbeit darin bestand, den Begriff der Seeinteressen in seiner Bedeutung klar zu stellen, und ihn den Bewohnern des deutschen Binnenlands unter immer neuen Gesichtspunkten Tag für Tag vor Augen zu führen.

Auf Grund dieser Vorarbeit konnte er den weiteren Schritt unternehmen, die deutschen Politiker davon zu überzeugen, dass es ohne einen bestimmten gesetzlich anerkannten Plan nicht angängig sei, eine Flottenmacht zu organisieren und zu erhalten, die für ihren Kriegszweck jederzeit sich in voller Bereitschaft befinde.

Die militärischen Grundzüge dieser Organisation waren schon vorher wenn auch mit unzulänglichem Material und beschränkt in ihren Hilfsmitteln herausgearbeitet und erprobt, es handelte sich für Tirpitz nur darum, dem Bestand der Geschwader von Linienschiffen mit ihren Aufklärungskreuzern die gesetzmässige Unterlage zu schaffen, die für das Heer, soweit ein Vergleich bei den abweichenden Verhältnissen zulässig ist, in der Feststellung seiner Friedenspräsenzstärke und in der sonstigen gesetzlichen Ordnung der Heeresverfassung seit Begründung des Reiches vorhanden war.

Die Aufgabe der Marine ist eine doppelte. Einmal soll sie im Kriege der Flotte des Gegners entgegentreten und mit ihr um die Seeherrschaft ringen. Hierfür bedarf sie einer planmässigen Gliederung, wie sie im Heere in den Regimentern und Batterien vorhanden ist. Ausserdem soll sie im Frieden überall da erscheinen, wo dies zur Förderung heimatlicher Interessen erwünscht ist, sei es, dass diese unmittelbar bedroht sind, sei es, dass es sich darum handelt, den deutschen Landsleuten draussen vor Augen zu führen, dass das Vaterland zu ihrem Schutze bereit ist, und ihrer fremden Umgebung zugleich, dass deutsche Volksgenossen nicht ungestraft in ihrer friedlichen Betätigung gestört werden dürfen.

Für die Kriegsgliederung vermochte der Staatssekretär des Reichs-Marine-Amts auf eine lange Reihe geschichtlicher Vorgänge hinzuweisen, denn in ihrem Verwendungszweck und der Einsetzung ihrer Kräfte in der Schlacht haben die gewaltigen Wandlungen der Technik für die Linienschiffe und Kreuzer der Schlachtflotte kaum eine Veränderung hervorgebracht; für die Auslandsflotte waren Umfang und Bedeutung der vorhandenen Seeinteressen in Betracht zu ziehen.

Der Flottenplan, für den die Marineverwaltung im Jahre 1897 die gesetzliche Anerkennung forderte, umfasste demgemäss eine Schlachtflotte von zwei Geschwadern zu acht Linienschiffen nebst einem Flottenflaggschiff sowie 6 grosse und 16 kleine Kreuzer, die in entsprechenden Gruppen den planmässigen Aufklärungsdienst bei der Flotte zu versehen hatten. Für den Auslandsdienst wurden 3 grosse und 10 kleine Kreuzer vorgesehen, weiterhin für beide Bestandteile der Flotte eine entsprechende Materialreserve. Ausserdem wurden in den gesetzlichen Sollbestand die vorhandenen Küstenpanzerschiffe aufgenommen, die im Frieden in Reserveformationen Verwendung finden sollten, um im Kriege die entstehenden Lücken auszufüllen. Von jeder technischen Festlegung des Begriffes der einzelnen Schiffsklassen sah die Vorlage grundsätzlich ab.

Ausser für den Sollbestand traf das Flottengesetz für die Ausnutzung des Schiffsmaterials Vorsorge. Die eine Hälfte der Flotte sollte in dauernder Indiensthaltung zu steter Verwendung bereit sein, während von den übrigen Schiffen und den Küstenpanzern je die Hälfte als Stammschiffe von Reserveformationen die Besatzungen für den Rest der im Kriege in Dienst zu stellenden Schiffe ausbilden sollten. In ähnlicher Weise ward über die Bereithaltung der Kreuzer Bestimmung getroffen. Diesen Indiensthaltungplänen entsprechend wurde der Personalbedarf an Besatzungen in den gesetzlichen Plan mit einbegriffen, der in einem Bauplan und in der Feststellung an Altersgrenzen für die verschiedenen Schiffsklassen seine Bekrönung fand.

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Diverse: Handbuch der Politik – Band 3. Dr. Walther Rothschild, Berlin und Leipzig 1914, Seite 300. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Handbuch_der_Politik_Band_3.pdf/316&oldid=- (Version vom 27.12.2021)