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Was die erwähnten subjektiven Merkmale der Versicherungspflicht betrifft, so werden (Ziff. 1 des § 165 R.V.O.) für versicherungspflichtig erklärt Arbeiter, Gehilfen, Gesellen, Lehrlinge, Dienstboten. In der 2. Ziffer werden als versicherungspflichtig bezeichnet Betriebsbeamte, Werkmeister und andere Angestellte in ähnlich gehobener Stellung, wenn sie im Hauptberufe beschäftigt werden. Es kann im einzelnen sehr zweifelhaft sein, was unter einer „ähnlich gehobenen Stellung im Hauptberufe“ zu verstehen ist. Dem freien Ermessen bei der Rechtsanwendung ist ein um so grösserer Spielraum gelassen, als bei der Verschiebung der Berufstätigkeiten und der Differenzierung der Beschäftigungsarten das Wesen einer gehobenen Tätigkeit für den entscheidenden Richter oder Verwaltungsbeamten selbst äusserst zweifelhaft sein kann. In einer 3. Ziffer werden Handlungsgehilfen und Lehrlinge, aber auch die bisher (in Ziffer 3 § 1 K.V.G.) ausgenommenen Gehilfen und Lehrlinge in Apotheken für krankenversicherungspflichtig erklärt. Einer häufig erhobenen Forderung entspricht die 4. Gruppe, die auch Personen, die als Bühnen- und Orchestermitglieder beschäftigt werden, in die Versicherungspflicht einbezieht, und zwar ohne Rücksicht auf den Kunstwert ihrer Leistungen. Das subjektive Merkmal des Bezuges von Entgelt gilt für alle bezeichneten Gruppen mit Ausnahme der Hausgewerbetreibenden und der „Lehrlinge aller Art“. Während für die Arbeiter, Gehilfen, Gesellen, Lehrlinge, Dienstboten keine Einkommensgrenzen gezogen sind, besteht eine solche (mit Ausnahme der Hausgewerbetreibenden) für alle übrigen Personen nur dann, wenn ihr regelmässiger Jahresarbeitsverdienst 2500 Mk. nicht übersteigt. Ist gegen die Forderung der entgeltlichen Beschäftigung nichts einzuwenden, so auch wenig gegen die Festlegung dieser Verdienstgrenze. War 2000 Mark vor mehr als einem Vierteljahrhundert angemessen, so ist dies ganz gewiss jetzt nicht mehr der Fall. Nicht nur spricht für die Erhöhung der gesunkene Wert des Geldes, sondern auch das Steigen des durchschnittlichen Lohnes und das Wachsen derjenigen Gruppe von Arbeitnehmern, die über 2000 Mk. verdienen.

2. Die Leistungen der Krankenversicherung bleiben im wesentlichen dieselben, wie die des K.V.G.: Krankenhilfe bis zu 26 Wochen nach Beginn der Krankheit oder des Krankengeldbezuges; sie besteht aus ärztlicher Behandlung, Arznei und kleinen Heilmitteln, sowie aus einem Krankengelde (½ des täglichen Grundlohnes) ev. Krankenhauspflege anstelle der bezeichneten Leistungen. In solchem Falle empfangen die vom Kranken sonst unterhaltenen Angehörigen die Hälfte des Krankengeldes (jetzt Hausgeld genannt). Neu ist die Hauspflege durch Krankenwärter, Schwestern usw. Der alte Wunsch, dass die Karenzzeit bei Zahlung des Krankengeldes wegfallen soll, ist nicht erfüllt worden. Dabei hat die Praxis der Kassen, die in der Satzung den Wegfall der Karenzzeit ausgesprochen haben, gezeigt, dass es sich bei Einführung dieser Begünstigung nicht um eine Mehrbelastung der Kasse handelt. Das rechtzeitige Eingreifen der Krankenunterstützung dient zur schnelleren Heilung. Neu ist die Festsetzung des Begriffes der ärztlichen Behandlung in den §§ 122, 123. Sie umfasst in Zukunft Hilfeleistungen anderer Personen, wie Bader, Hebammen, Heildiener, Heilgehilfen, Krankenwärter, Masseure und dergl. sowie Zahntechniker nur dann, wenn die Hilfeleistung vom Arzte (Zahnarzte) angeordnet ist, oder wenn sie in dringenden Fällen gewährt wird, in denen die Zuziehung eines approbierten Arztes (Zahnarztes) nicht angängig ist. Immerhin soll, besonders hinsichtlich der Zahnärzte, die Vorschrift nicht allzu streng genommen werden. Denn nach § 123 kann bei Zahnkrankheiten, mit Ausschluss von Mund- und Kieferkrankheiten, die Hilfeleistung auch in anderen, als den genannten Fällen durch geeignete Zahntechniker gewährt werden. Die Landeszentralbehörde, die nach der Bestimmung des § 123 Einzelvorschriften erlassen kann, wird hier nur dann zweckmässig wirken, wenn Übereinstimmung zwischen allen Landeszentralbehörden des Reiches herbeigeführt wird.

Neben der Krankenunterstützung ist noch die Wöchnerinnenunterstützung, jetzt Wochenhilfe genannt, auch für nicht verheiratete Frauen, vorgesehen. Der Betrag des Krankengeldes als Wöchnerinnenunterstützung ist auf die Dauer von im ganzen 8 (bisher 6) Wochen vor und nach der Niederkunft der Wöchnerin zu gewähren. Von diesen 8 Wochen müssen mindestens 6 auf die Zeit nach der Niederkunft fallen. Leider ist für Mitglieder der Landkrankenkassen bestimmt, dass evtl. schon 4 Wochen ausreichen § 195 Abs. 2. Das Sterbegeld beträgt das Zwanzigfache des Grundlohns.

Empfohlene Zitierweise:
Diverse: Handbuch der Politik – Band 3. Dr. Walther Rothschild, Berlin und Leipzig 1914, Seite 32. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Handbuch_der_Politik_Band_3.pdf/48&oldid=- (Version vom 7.11.2021)