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schwermütigen Volkslieder. Man kann die schmalen Bändchen in der Brusttasche forttragen. Ihre Sprache weicht von der russischen ab und ist mit finnischen Lehnworten aufgefüllt. Sie wird mit lateinischen Buchstaben geschrieben.

Auch im Bekenntnis prägt sich das verhängnisvolle Doppelhinken der Weißrussen aus. Sie gehörten zu dem Teil der griechischen Kirche, der gegen Ende des Mittelalters den päpstlichen Primat wieder anerkannte. Aber erst, nachdem gewisse Zugeständnisse verbrieft waren. Der gewohnte orientalische Ritus, die Muttersprache im Gottesdienst, der Laienkelch und die Priesterehe. Damit saßen sie jedoch erst recht zwischen zwei Stühlen. Zu polnischer Zeit galten sie nicht als römisch; noch weniger jedoch zu russischer als orthodox. Unter Katharina begannen die Zwangsbekehrungen; Nikolaus I. führte sie so gewalttätig durch, daß heute im besetzten Gebiete keine uniatische Geistlichkeit mehr zu finden ist.

In solch martervoller Gedrücktheit hat politisches Denken und Fühlen nicht erwachen können. Man nimmt den neuen Herrn an, wie man sich mit dem alten abfand. Schwierigkeiten werden uns die Weißrussen nicht machen.

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Fritz Hartmann: Ob-Ost. Gebrüder Jänecke, Hannover 1917, Seite 74. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:HartmannObOst.pdf/86&oldid=- (Version vom 1.8.2018)