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So sind uns die Juden die geborenen Dolmetsche geworden. In Wilna und Kowno stellen sie fast die Hälfte der Einheimischen; in Bialystok sogar beinahe drei Viertel. Wir waren gerade während des Laubhüttenfestes dort. Alle Läden waren bis zum Abend geschlossen; manche von uns konnten sich nicht rasieren lassen. Wir alle mußten die Dunkelheit erwarten, um unsere kleinen, aber unumgänglichen Einkäufe an Ansichtskarten zu besorgen. Dafür drängten sich auf den Straßensteigen die schwarzen Heersäulen der Spaziergänger, und vor den Synagogen hing es wie die Bienentrauben zur Zeit der Lindenblüte an den Fluglöchern der Stöcke.

Um ihrer Sprache willen sind die Juden von den Russen deutscher Gesinnung, ja deutscher Späherei bezichtigt worden. Vorwand mehr, sie scheußlich zu behandeln. In Wahrheit ist der dortige Jude ein zu nüchterner Rechenmensch, um nicht früher und heute rein nach dem Handelsgewinne abzuschätzen. Ich frug einen Schmeie Tinkeles im glänzenden Lastingrock und hohen Stiefeln, der mir ein Wolfsfell käuflich anbot, ob ihm die deutsche Herrschaft lieber sei als die russische. Er zögerte etwas, schob sein

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Fritz Hartmann: Ob-Ost. Gebrüder Jänecke, Hannover 1917, Seite 76. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:HartmannObOst.pdf/88&oldid=- (Version vom 1.8.2018)