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Kapitel 3.
I. Studienreise Wien – München – Berlin.

Reissiger begab sich, nachdem ihm noch von den Freunden eine für seine ferneren Studien geeignete Bücherei geschenkt worden war, direkt nach Wien. Was Wien damals für die Musikwelt bedeutete, wir wissen es ja genügend aus dem Leben der Großen. Gegen Ende des 18. Jahrhunderts bereits war es ein Lieblingssitz der Muse der Tonkunst geworden und blieb es Jahrzehnte hindurch. Neben den großen Gestirnen Gluck, Haydn, Mozart, Beethoven, Schubert kreiste noch eine Unmenge kleiner Trabanten. Die ganze Bevölkerung der Stadt war, und ist es immer geblieben, im Banne der Musik. In den vaterländischen Blättern 1808 heißt es an einer Stelle: „In dieser Residenz wird man wenig Häuser finden, in denen nicht an jedem Abend diese oder jene Familie sich mit einem Violinquartett oder einer Klaviersonate unterhielte.“ Als Reissiger nach Wien kam, lebten von den Größten noch Beethoven und Schubert, und das Jahr 1821 ist in der Musikgeschichte ein geweihtes. Beethoven schrieb die Missa solemnis, Schubert die unvollendete Sinfonie. Michael Vogl, der bekannte Sänger, hatte am 7. März zum ersten Male Schuberts Erlkönig öffentlich gesungen, und die Ballade erschien als Opus 1 in diesem Jahre im Druck. Bedauerlicherweise ist Reissiger mit den beiden Großmeistern nicht persönlich bekannt geworden. Beethoven war schon der infolge seiner völligen Taubheit ganz zurückgezogen lebende Meister. Über Reissigers Verhältnis zu Schubert klärt uns ein sechsunddreißig Jahre später (20. Dezember 1857) geschriebener Brief des Ersten auf[1]:

„Auf Ihr sehr wertes Schreiben bedaure ich Ihnen erwidern zu müssen, daß damals meine große Schüchternheit mich leider nicht zu einer näheren Bekanntschaft mit dem uns allen unvergeßlichen Franz Schubert kommen ließ, von dem ich schon anno 1821 soviel Rühmliches hörte, der mir aber von meinen näheren Freunden als schwer zugänglich geschildert wurde. Auch in den wenigen Tagen meiner Durchreise anno 1825, wo ich mich sehnte, Schuberts Bekanntschaft zu machen, gelang mir dies nicht, da derselbe krank war. Möchte Ihnen Ihr Bestreben durch Herrn v. Schober gelingen. Derselbe wohnt seit einem Jahre hier, und ich ermangle nicht, Ihnen seine Adresse mitzuteilen“ (folgt Adresse).

Mußte Reissiger also auf die beiden genialsten musikalischen Ratgeber, die die Welt damals besaß, verzichten, so nützte er dafür alles andere fleißig aus, was ihm wertvoll werden konnte. Es war, wie gesagt, nicht wenig in Wien um diese Zeit. Zuerst müssen wir des Theaters gedenken[2]. Reissiger


  1. Original in der Kgl. Landesbibliothek Dresden (Reissigers Briefe), gerichtet an Ferdinand Luib in Wien (bisher unveröffentlicht).
  2. Vgl. Wallaschek, Das K. K. Hofoperntheater, Wien 1909 und Hanslick, Geschichte des Konzertwesens in Wien, 1869.