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hoffte Reissiger wertvolle Winke zu erhalten. Tatsächlich ist die gute Deklamation auch ein an Reissigers Kompositionen zu rühmender Vorzug geworden. Winter, dessen deutsche Oper „Das unterbrochene Opferfest“ nach Mozarts Zauberflöte den meisten Beifall fand, war vielseitig. Neben Kirchenmusik lernte Reissiger bei ihm auch originelle Kammermusik kennen, originell vor allem in bezug auf die Besetzung, was auf Mannheimer Einflüsse zurückgeht. Wenn Reissiger später Kammergesänge oder Konzertanten für Bläser mit Orchester schrieb, so werden wir die Anregungen dazu bei Winter zu suchen haben.

Reissiger entwickelte nun in München eine ebenso fleißige Tätigkeit wie in Wien. Winters Freundschaft gewann er durch die Komposition einer Konzertouvertüre, zu welcher Winter ein Thema in fünf Noten gegeben hatte. Bei der öffentlichen Aufführung fand dieselbe solchen Beifall, daß der Hoftheater-Intendant bei ihm sogleich eine Schauspielmusik bestellte, und zwar zu einer Tragödie „Nero“. Reissiger schrieb die Ouvertüre, die Chöre und einige Zwischenakte[1], und erntete damit auch Beifall, so daß sich Winter ernstlich um ein Opernlibretto für Reissiger bemühte. Er hielt „Didone abandonata“ des berühmten Librettisten Metastasio für geeignet, auch von Reissiger komponiert zu werden; denn der Text war bereits vielfach vertont worden. Dido wurde etwas zurechtgestutzt, und Reissiger komponierte nun seine zweite Oper (die einzige italienische). Aber das Schicksal, das ihm sonst so wohlwollte, spielte ihm auch in München einen Streich wie damals in Wien, als es sich um die Aufführung einer Oper von ihm handelte. Der Brand, welcher das Hoftheater in Schutt legte, verhinderte die Aufführung der bereits angenommenen Oper.

In München vollendete Reissiger dann fernerhin noch eine feierliche Messe, welche er schon in Wien begonnen hatte, und mit welcher er Winter sehr erfreute. Winter hatte um diese Zeit (1822) schon lange die dramatische Komposition aufgegeben und komponierte nur noch für die Kirche. Noch eine Komposition Reissigers sei schon hier erwähnt, wenn wir auch später noch einmal auf sie zurückkommen werden. 1822 entstand nämlich der Walzer, der unter dem Namen: „Webers letzter Gedanke“ sehr beliebt wurde.

Die Vermutung, daß Reissiger seine überall gerühmten stimmlichen Anlagen noch von Winter, der eine noch bis auf den heutigen Tag geschätzte Singschule herausgegeben hatte, besonders hat schulen lassen, wurde uns durch Einsichtnahme eines in den Akten des Leipziger Ratsarchivs befindlichen Gesuches bestätigt, worin Reissiger schreibt, daß er bei Winter auch Gesangsunterricht genommen habe.

Dreiviertel Jahr war Reissiger bereits in München, als er aus Leipzig die Kunde von einer Erkrankung (es war die letzte) seines Wohltäters Schicht bekam, und zwar erhielt er gleichzeitig eine Aufforderung, begleitet von einem sehr ehrenvollen Schreiben des Leipziger Rates, die Vertretung des Thomaskantors zu übernehmen. Reissiger schreibt später an den Rat: „Seinem Gebot folgend, langte ich erst wenige Tage vor seinem Tode hier an, und hatte nur die Freude, ihm noch einmal mündlich meinen heißen Dank für seine Lehre sagen zu können und für seine Wohltaten.“


  1. Die Ouvertüre erschien (vierhändig) bei Breitkopf & Härtel.