Seite:Heft26VereinGeschichteDresden1918.pdf/74

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Dieser Text wurde anhand der angegebenen Quelle einmal korrekturgelesen. Die Schreibweise sollte dem Originaltext folgen. Es ist noch ein weiterer Korrekturdurchgang nötig.

hat ja der sächsische Hof immer zum Norden gehabt. Von Schütz, Naumann u. a. ist ihre dortige Tätigkeit bekannt, und auch zu Reissigers Zeit gaben z. B. die Virtuosen des Dresdener Kgl. Orchesters (Fürstenau) im Norden Konzerte. Eine besondere Ehrung erfuhr Reissiger auch dadurch, daẞ 1834 in Berlin die „Felsenmühle“ als Festoper zu Königs Geburtstag unter seiner Leitung aufgeführt wurde. Der Herrscher war derselbe, welcher Reissiger früher unterstützt hatte. Der Vorstellung ging ein von Spontini komponierter und dirigierter Festmarsch und Gesang, sowie eine Festrede vorher. Mit Spontini zusammen wurde Reissiger im selben Jahre auch noch als Ehrengast zum zweiten märkischen Gesangsfest nach Potsdam eingeladen.

Außer der Oper bearbeitete Reissiger besonders schöpferisch das Gebiet des Solo- und Chorliedes und der Kammermusik. Wir werden ja gegen Ende noch auf alles zurückkommen. Hier sei nur gesagt, daß man förmlich vor einem Rätsel steht, wie Reissiger bei seiner anstrengenden Amtstätigkeit eine solche Fülle von Kompositionen liefern konnte. „Nulla dies sine linea“, dieses Wort scheint uns fast zu wenig auszudrücken. Jede kleine Pause im Amt scheint er benützt zu haben, um nur die Lieder so hinzuschreiben. Dabei sind zufolge der Unmenge nicht etwa alle, wie man vermuten könnte, qualitätslos, wenn auch ein großer Teil den Stempel der schnellen Gelegenheitsarbeit trägt. In Rob. Schumanns N. Z. f. M. wird Reissiger einmal ein „Liederpascha“ genannt, der so verliebt ist, daß er seine Kinder doch kaum noch alle kennen kann. Wir müssen heute bedauern, daß Reissiger sich nicht mehr konzentriert hat, um dafür lieber mehr gute Sachen zu liefern, wozu er das Zeug hatte, wie mehrere sehr gelungene Lieder beweisen. Heute ist über Reissiger als Liederkomponist der Stab gebrochen, woran nur die Menge schneller Arbeiten schuld ist, welche, wie es meist zu sein pflegt, die guten Würfe mit in die Vergessenheit reißen. Eine Ungerechtigkeit der Geschichte! Zu seiner Zeit waren alle Gaben Reissigers hochbegehrt, und man kann es dem Komponisten, der für seine Familie nun auch erhöhte finanzielle Anforderungen zu befriedigen hatte, nicht gar so sehr verübeln, wenn er sein Einkommen auf die ihm vom Publikum selbst angebotene Art vermehrte. Er hat wohl selbst nicht geahnt, daß es ihm einst so schaden würde, denn er war ja sonst als Musiker ein ernster, pflichtbewußter Mann. Für die Beliebtheit zu seiner Zeit zeuge nur der Umstand, daß, wie die Verlagskataloge von damals beweisen, Reissigers Themen vielfach zugrunde gelegt wurden in Transkriptionen, Fantasien, Paraphrasen usw. für Klavier, Klarinette u. a. Instrumente.

Ein anderes erfolgreiches Gebiet war die Männerchorkomposition, und wir sehen Reissiger auf den Programmen aller deutschen Männergesangs- und Musikfeste, die ja, von dem Thüringer Kantor Bischof ins Leben gerufen, in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts eine wahre Hochblüte erlebten. Reissiger besucht dieselben als Ehrengast und Ehrendirigent, vom vierten Musikfest an der Elbe in Nordhausen 1829 angefangen, fast alle. Er erwies dadurch gleichzeitig der Kunstpflege einen großen Dienst, denn die Musikfeste förderten mit ihrer großzügigen Anlage das Gedeihen der deutschen Kunst ganz besonders. Weite Kreise des Volkes, namentlich Kleinstädter, die sonst von Musik wenig hörten, bekamen Fühlung mit bedeutenden Werken in musterhafter Aufführung. Vorgreifend nennen wir hier nur das