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Dienstag, 7. August.

Vieths Mitteilung über die königliche Indolenz im Friedensbetrieb und Beusts klettenartige Langsamkeit im unvermeidlichen Abgange. Möglicher Eintritt stärkerer Einquartierung von zurückmarschierenden Truppen. Leider findet sich niemand, der Mut und Beruf fühlt, die Wahrheit auszusprechen. Ich teile es Pfotenhauer mit, der aber kein weiteres Gewicht darauf legt.


Mittwoch, 8. August.

Ich bin in mein neues Geschäftsquartier eingezogen. In der Politik nichts Neues, als Graf von Westphalens Austritt aus dem Preußischen Herrenhaus wegen Abfalls vom Bundestage.


Donnerstag, 9. August.

Die Friedensverhandlungen zwischen Sachsen und Preußen sind eingeleitet. Die Modalität der Militärkonvention steht in erster, in zweiter Linie die Höhe der Kriegskostenentschädigung.

Heute ward Dr. Stübel jun. feierlich eingeführt, wobei Ackermann recht gut sprach.


Freitag, 10. August.

Am politischen Himmel gar nichts Neues; doch fängt die gegenseitige journalistische Erbitterung an, lebendiger zu werden. Eine Flugschrift von Treitschke wird mittels Dreineugroschenpreises oktroyiert. Dieser Treitschke ist ein Sohn unsers alten Kaufkontrakt-Treitschke – als ein verdorbener Gelehrter vorlängst bekannt, der sich nunmehr durch schwarzweißen Trumpf auf den Strumpf bringen will. Also einer der vielen gesinnungstüchtigen Lumpen unsrer Zeit[1].


  1. Heinrich v. Treitschke war am 15. September 1834 als Sohn des sächsischen Generalleutnants v. Treitschke (gest. 1867) zu Dresden geboren. Geburtshaus Weiße Gasse Nr. 3 (Büste mit Inschrift). Den Irrtum der Herkunft berichtigt Peschel am 13. August selbst. v. Treitschke – 1858 Privatdozent in Leipzig, 1863 a. o. Professor in Freiburg, 1866 Leiter der Preußischen Jahrbücher in Berlin, da wegen seiner Hinneigung zu Preußen sein Bleiben in Baden nicht mehr möglich war – war mit einer Broschüre „Die Zukunft der norddeutschen Mittelstaaten“ hervorgetreten (30. Juli 1866). Sie verlangte rücksichtsloses Vorgehen Preußens gegen Hannover, Kurhessen, Frankfurt und – Sachsen. „Jene drei Dynastien sind reif, überreif für die verdiente Vernichtung; ihre Wiedereinsetzung wäre eine Gefahr für die Sicherheit des neuen deutschen Bundes, eine Versündigung an der Sittlichkeit der Nation.“ Ganz besonders scharf und vernichtend ist Treitschkes Urteil über die bisherige sächsische Politik, über Sachsens Herrscher und namentlich auch über König Johann. Trotz einer Fülle gelehrter Kenntnisse sei Johann ein gewöhnlicher Mensch geblieben, „engen Herzens, unfrei, philisterhaft in seinem Urteil über Welt und Zeit“. „Sein politisches Urteil war durch albertinischen Preußenhaß so gänzlich getrübt, daß er, der rechtschaffene, sittenstrenge Mann, zum Werkzeuge eines frivolen, nichtigen Menschen, wie Herr v. Beust, herabsinken konnte“. Sachsen müsse ganz in Preußen aufgehen, nicht nur ein Personenwechsel auf dem Throne könne genügen. Denn auch „der Kronprinz, ein Mann nicht ohne derbe Gutmütigkeit, aber roh und jeder politischen Einsicht bar, war von jeher eine Stütze der österreichischen Partei, ein Freund und Bewunderer des Kaisers Franz Joseph; und von dem Prinzen Georg, dessen Hochmut und Bigotterie selbst in dem zahmen Dresden Anstoß erregen, ist noch weniger zu erwarten.“
    Diese Schrift, von der Feder eines Sachsen in solchem Tone geschrieben, mußte in Sachsen zum Teil selbst bei Männern, die Beusts und des Königs Politik verurteilten und nicht zur österreichischen Partei gehörten, wie Stadtrat Peschel, abgelehnt werden. Die Presse sprach sich für und wider aus. Ein Berliner Kritiker der „Kölnischen Blätter“ warf dem Verfasser, der übrigens in seiner bisherigen Universitätszeit noch kein wissenschaftliches Werk geschrieben habe, großmäuliges Renommieren, ungezogenes Schimpfen auf deutsche Fürsten und Volksstämme, verleumderisches Schmähen der Katholiken vor (Dresdner Journal, 10. August), während andere, liberale Stimmen, diesem „ultramontanen“ Berichterstatter entgegentraten und sagten, daß H. v. Treitschke schon vor Preußens Sieg die Entwicklung der gegenwärtigen Zustände vorausgesagt habe, also jetzt durchaus keine billigen Lorbeeren ernte, wie er denn auch in seinen „Historischen und politischen Aufsätzen“ (1865) bereits ein glänzendes Zeugnis seiner wissenschaftlichen Begabung gegeben habe (Journal, 11. August). Auch die Berliner Blätter brachten die Angelegenheit. Da die Schrift in Sachsen konfisziert wurde, erhob sich der juristische Streit, ob wirklich eine Majestätsbeleidigung begangen sei oder nicht. Man bestritt die Möglichkeit einer solchen, da es sich um einen entwichenen Monarchen eines feindlich besetzten Landes handle. Am 21. August war die Schrift auf Veranlassung v. Wurmbs durch den sächsischen Generalstaatsanwalt Dr. Schwarze wieder freigegeben. In der Kreuzzeitung (wiedergegeben im Journal am 18. August) hob eine Dresdner Stimme hervor: „Die Pietät der Sachsen gegen ihren König ist eine sehr große, so daß darin auch die Parteiunterschiede fast zusammenfließen. Auch auf seiten derer, die ein Aufgehen Sachsens in Preußen wünschen, mischt sich noch immer in den Wunsch für das Land die Klage um den König, und wiederum da, wo noch das österreichische Bundesreformprojekt von 1863 oder etwas dem Ähnliches in den Köpfen spukt, ist es vorzugsweise die Anhänglichkeit an diese bestimmte Person des Königs Johann, welche ihm gern für den Rest seiner Tage eine andere Rolle wünschte, als in dem künftigen norddeutschen Bundesstaate. Es ist hier manches anders als in Hannover und Kassel.“
    Gewissermaßen den Schluß der erregten Debatte über den Fall Treitschke machte eine Erklärung des alten Generalleutnants v. Treitschke im Dresdner Journal am 25. August, in welcher er sagte, daß seine treue Gesinnung gegen König Johann und das königliche Haus wohl keiner öffentlichen Darlegung bedürfe, er sich aber dennoch bewogen fühle auszusprechen, samt den Seinen nur mit Entrüstung und tiefem Schmerze die Äußerungen gelesen zu haben, die sein älterer Sohn in der Schrift „Die Zukunft der norddeutschen Mittelstaaten“ gegen dieses Königshaus sich gestattet habe.
Empfohlene Zitierweise:
Erwin Heyne (Hrsg.): Kriegstage in Dresden 1866 und 1870. i. A. des Verein für Geschichte Dresdens, Dresden 1933, Seite 41. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Heft31VereinGeschichteDresden1933.pdf/47&oldid=- (Version vom 6.5.2024)