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soll. Ich hoffe, Sie sind jezt ziemlich wohl. Von uns, und der Gräfinn, wird Ihnen H(err) v(on) Bülow recht viel erzählen können. Arbeiten ist mir bis jezt noch versagt worden, doch will ich jezt mit Ernst anfangen. Man hat es mir zur Pflicht machen wollen, vor allen Dingen zuerst meine Memoirs zu schreiben[1]. Angesezt habe ich mehrmals, auch viele Materialien aus meiner Erinnerung zusammen getragen. Nur das Mechanische des Aufschreibens! Es hat was Lächerliches, Gedanken, Empfindungen so mit den gespizten Fingern Wort für Wort auf das Papier hinzustricheln. – Haben Sie unsern vormaligen Rumohr[2] noch vor seinem Tode gesehn? An seinem lebenden Leichnam waren auch nur noch blinde Vorurtheln, Grillen, Eigensinn und Unvernunft hängen geblieben, wie an einem vernachlässigten Hofkleide nach langer Zeit nur Motten, Schaben und Spinneweben einen sonderbaren Zierath ausmachen.

Die Leute wundern sich immer wieder, daß ich von den meisten neuen Büchern gar keine Notiz nehme. Merken denn diese Menschen gar nicht, daß in diesen Neuigkeiten der Mode gar nichts Neues steht[3]? Aus den guten Alten lerne ich, je älter ich werde, immer mehr. Diese Wollust des Lernens kann gewiß in alle Ewigkeit nicht aufhören. – Auf ganz etwas Nichts-Nutziges zu kommen. Es hat mich verlezt, daß das ganz dumme Zopf und Schwert in Dresden so übermäßig gefallen hat. Es ist doch wohl großentheils die alte Rancune gegen Preußen. Ist unser Theater nicht eine wahre Bude des Ekelhaften, wo wie in London Würmer der Eingeweide und andre Scheußlichkeiten in gefärbten Gläsern erleuchtet zum Prunk ausgestellt werden[4].

Werden wir uns einmal wiedersehn? So vieles wird uns im Leben versagt. Sie wollen nach Leipzig kommen, im Fall ich dort durchreise? Das ist ein großes Gewicht in der Wagschaale. Auf jeden Fall gehe ich durch Leipzig, wenn ich noch reise. Die Lust am Reisen vergeht mir nicht, so sehr ich mich auch dann wieder davor fürchte.

Nun leben Sie wohl, Allertheuerste; man bildet sich beim Briefschreiben immer eine Gegenwart vor. – Grüßen Sie doch meinen theuern Freund H(errn) v(on) Friesen, ebenso den lieben Baudissin: beide hätte ich gar zu gern einmal hier gehabt. Nur sind die Reisenden immer so schrecklich unruhig, was mich dann so zerstreut macht, so daß ihre Gegenwart immer wie ein nüchterner Traum vergeht. Wenn ich Sie in Leipz(ig) sehn sollte, müßte ich für die Zeit allen andern Menschen absagen lassen, um bei Ihnen und bei mir zu sein.

Adieu!! das sagt man täglich so sprichwörtlich gedankenlos hin, und ist die schönste Begrüßung.

Berlin den 17. März 1844. Ihr L. Tieck.

  1. Memoiren über sein Leben zu schreiben hatte Tieck seinem Verleger Brockhaus bereits 1837 versprochen. Zunächst begann er Stoff dafür zu sammeln. Dann machte er sich in Berlin seit 1844 bis zu seinem Tode immer von neuem an die eigentliche Arbeit. Schließlich fehlte die Kraft, sie fertigzustellen. Siehe darüber: Aus Tiecks Novellenzeit 118, 121, 124 f., 127, 154, 156, 160 ff., 166, 169 f., 186-189, 197.
  2. Der auch mit Frau von Lüttichau befreundete Kunstschriftsteller Karl Friedrich von Rumohr war, an Brustwassersucht leidend, kurz vor seinem Tode nach Dresden gereist und hier am 25. Juli 1843 am Schlagfluß gestorben. In den Jahren 1805-1806 hatte Tieck in Italien frohe Tage mit ihm verlebt, später aber unter seiner Reizbarkeit und Empfindlichkeit gelitten. Vgl. Köpke a. a. O. I 312 f., 316 f., 327, II 65 f.; Heinrich Wilhelm Schulz, K. F. von Rumohr (Leipzig 1844) 76 f.
  3. Das Junge Deutschland und damit die Werke der damaligen modernen Literatur lehnte Tieck, der ein begeisterter Verehrer der Dichtungen eines Dante, Shakespeare, Calderon und Goethe war (vgl. Köpke a. a. O II 176 f., 208 ff.; Hermann Anders Krüger, Pseudoromantik, Leipzig 1904, 182 ff.), bis auf wenige Ausnahmen schroff ab. Wenn er am 14. November 1835 an Brockhaus schreibt: „Diese Gutzkow usw. – wie ohne Gesinnung, Talent und Wissen“ (aus Tiecks Novellenzeit 103), so kommt hier sein Ärger darüber zum Ausdruck, daß Gutzkow in Nummer 3 des Literaturblatts zum Phoenix, Frühlingszeitung für Deutschland, vom 21. Januar 1835, Tiecks Schilderhebung nach Goethes Tode durch die berlinischen Cliquen bespöttelt und fortgesetzt von der untergeordneten Rolle, die er in der Literatur spiele, gesprochen hatte. Siehe dazu Harry Iben, Karl Gutzkow als literarischer Kritiker, phil. Diss. Greifswald 1928, 186 f. Ausfälle gegen das Junge Deutschland enthält auch die 1839 in Jahrg. 3 der Helena erschienene Tiecksche Novelle Liebeswerben. So weit aber durfte der Dichter in seiner Ablehnung nicht gehen, daß er Gutzkows Zopf und Schwert, nach Houben (Karl Gutzkows Leben und Schaffen, Leipzig 1908, 78) eines der wenigen guten Lustspiele des neunzehnten Jahrhunderts, das bei seiner Erstaufführung in Dresden am 1. Januar 1844 eine begeisterte Aufnahme fand, als etwas ganz Übles verwarf.
  4. Eine Ausstellung von Würmern und anderen Parasiten in erleuchteten gefärbten Gläsern dürfte Tieck 1817 auf seiner englischen Reise im Britischen Museum gesehen haben.