legte Wert darauf, in der feinen Gesellschaft zu verkehren, und nahm sich höllisch in acht, gegen die feinen Manieren zu verstoßen. Aloys war weniger penibel, aber daß ihn diese Lady vom Lande mit selbstverständlicher Intimität einhakte, auf offener Straße, gerade zur Promenadenzeit, wo alles unterwegs war, ging ihm doch ein wenig gegen den Strich.
Oskar Knieß ging bereits drei Meter vor dem Paar und überließ Aloys den spöttischen Blicken der Passanten. Er war mehr tot als lebendig. Flucht, rücksichtslose Flucht, das war die einzige Rettung. Aber wie? Scheu und verstohlen ließ er seine Augen herumschweifen, wo war eine Rettung? Aloys trottete schweigend neben dem Mädchen her. Sein verzeihendes Gütegefühl begann sich in seinem guten Herzen zu regen. Es war doch tragisch, wenn eine sogenannte Krone der Schöpfung so aussah wie diese Büdericher Vertreterin des schönen Geschlechts. Ein Gefühl des Wohlwollens und eines herzlichen Mitleids wegen dieses tragischen Dilemmas begann sich in seinem guten Herzen zu regen. Oskar Knieß sah plötzlich scharf die Straße hinunter. Sein verdrossenes Gesicht erhellte sich sichtbar. Hoffnung lag auf seinen Zügen. Dort, etwa hundert Schritte weiter, klapperten an einem Schild zwei Messingbecken, das Zunftzeichen der Friseure. Eine glänzende Idee! „Ich muß mich eben rasieren lassen,“ stieß Oskar Knieß plötzlich, kaum eine Erleichterung verbergend, hervor, „bitte, wartet eine Weile hier draußen; Aloys du bist so gut und leistest meiner Freundin Gesellschaft. Es wird nicht lange dauern.“ Schon war er in dem Friseurgeschäft verschwunden. Die Messingbecken schlugen zusammen, als applaudierten sie. –
Hermann Harry Schmitz: Buch der Katastrophen. Kurt Wolff Verlag, Leipzig 1916, Seite 36. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Hermann_Harry_Schmitz-Buch_der_Katastrophen-1916.djvu/034&oldid=- (Version vom 1.8.2018)