„Vergiß also nicht, sofort eine Postkarte zu schreiben!“ Ich grinste Tante Düne an.
„Du hättest dich wärmer anziehen sollen,“ bemerkte Tante Hupebeih.
Kein Verlaß ist auf die Gepäckträger!
Ich äuge verzweifelt umher. Ich dränge mich durch die Menschen bis zum Rande des Perrons, lehne mich hinaus, um zu schauen, ob das Einfahrtsignal schon gezogen. „Zurücktreten“ wird gerufen und dazu geschellt. Schon biegt der Zug um die Kurve vor dem Bahnhof und fährt fauchend und knatternd in die Halle ein. Man läuft mit dem Zug. Man ist zu weit nach vorn gelaufen. Man rast zurück. Reckt sich den Hals aus nach dem Gepäckträger. Stürmt auf und ab. Wird gestoßen, gedrängt, beschimpft. Immer gefolgt von den guten Verwandten, im Rücken das Keuchen der kurzatmigen Tanten.
Der Gepäckträger hatte schon lange mein Gepäck im richtigen Wagen untergebracht und einen Platz belegt. Ich fand ihn, als ich schon ganz verzweifelt jede Hoffnung aufgegeben hatte. Ich zahlte ihm vor Freude dreißig Pfennig zu viel. „Hast du auch klein?“ mischte sich Tante Fletschknaster, leider erst, als ich bereits bezahlt hatte, in diese Angelegenheit.
Nun wurde endgültig Abschied genommen. Zwischen die einzigen noch freien zwei Finger der linken Hand drückte mit Tante Brösele einen dicken, schmerzhaften, mit Draht gebundenen Strauß, den ich bereits vorher mit nicht geringem Mißtrauen betrachtet hatte. Nochmals wurde ich beschworen, das Billett nicht zu verlieren, mich rückwärts zu setzen, sofort zu schreiben, auf den Kofferschlüssel und den Gepäckschein acht zu geben, Benders ja nicht zu vergessen.
Hermann Harry Schmitz: Der Säugling und andere Tragikomödien. Ernst Rowohlt Verlag, Leipzig 1911, Seite 137. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Hermann_Harry_Schmitz_Der_Saeugling.djvu/137&oldid=- (Version vom 1.8.2018)