Lassen wir jetzt den geschickten Sonntagsblattplauderer aufhören.
Er hat aber recht, der geschickte Sonntagsblattplauderer. –
Ich habe mich im Speisewagen ergiebig gerächt für die im Coupé erlittene Unbill: drei leere Flaschen Rüdesheimer-Berg standen nachher an meinem Platz.
Wie war es mir auf einmal heiß durchs Herz geschossen, als mir nach aller Hatz zum Bewußtsein kam, daß ich morgen unter italienischem Himmel, unter des Südens immer lachender Sonne wandeln würde, daß ich dem Lande meiner Träume von Minute zu Minute näher kam, dem Lande, wo die Zitronen blühen und die Goldorangen glühen. Erst hatte ich der Mignon Lied schüchtern vor mich hin gesummt, war dann aber begeisterter geworden und hatte mit sonorem Organ losgelegt: „Dahiiiiin, dahiiiiin möcht ich mit dir …“ Man war gekommen und hatte gesagt, das ginge nicht.
Rosenfarben lag die Zukunft vor mir. Was scherten mich die Menschen. „Dahiiiiin, dahiiiii“ – Als man aber wiederkam und sagte, das ginge absolut nicht, wurde ich sentimental und kroch in mein Coupé, welches sich mittlerweile bis auf zwei Insassen geleert hatte.
Ich vergrub mich in einer Ecke und entschlummerte sanft.
Von Italien träumte ich. Von tiefblauen Wassern, in denen sich schlanke Pinien und dunkle Zypressen spiegelten. Von Marmorvillen, versteckt zwischen Lorbeer und Orangen. Von glutäugigen Frauen in
Hermann Harry Schmitz: Der Säugling und andere Tragikomödien. Ernst Rowohlt Verlag, Leipzig 1911, Seite 142. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Hermann_Harry_Schmitz_Der_Saeugling.djvu/142&oldid=- (Version vom 1.8.2018)