Natürlich gibt es auch absolute Flegel, die im schlichten Tritt gegen das Schienbein ihres Nächsten überhaupt die einzig mögliche gesellige Verkehrsform sehen.
So einer saß mir gegenüber. Ich wäre zum Krüppel geworden, wenn ich noch länger sitzen geblieben wäre. Vollständig zerknüllt und verbogen rettete ich mich in den Seitengang. –
Ich halte die Erfindung des Speisewagens für erheblich wichtiger, wie die der doppelten Buchführung.
Hören wir, wie der geschickte Sonntagsblattplauderer über diese neuzeitliche Institution in seiner launigen Weise plaudert.
Im eleganten Restaurant sitzend, vor sich auf dem blütenweißen, kokett gedeckten Tisch die erlesensten Gerichte, von flinken Kellnern geräuschlos bedient, durch die Lande dahinzusausen – während des Diners umschmeichelt von dem Zauber des sagenumwobenen Rheines mit seinen burgengekrönten Bergen – sich angesichts des majestätischen Stolzenfels an Steinbutt à la meunière zu delektieren, die trotzige Marxburg bei Tournedos à la Rossini, das verträumte St. Goar bei französischer Poularde zu erleben – Eiscreme schlürfend zur Loreley hinaufzusinnen – den Tee mit petits fours im fruchtbaren Hegau und in den Reichslanden das Souper einzunehmen: das ist Kultur, das ist Fortschritt, das ist das zwanzigste Jahrhundert. Vorbei sind die Zeiten ewiger Schinkenbrote, ewiger Koteletten, aus fettigen Tüten gegessen, oder weißglühender Bouillon, hastig an irgendeiner Station in den Bauch gezischt …
Hermann Harry Schmitz: Der Säugling und andere Tragikomödien. Ernst Rowohlt Verlag, Leipzig 1911, Seite 141. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Hermann_Harry_Schmitz_Der_Saeugling.djvu/141&oldid=- (Version vom 1.8.2018)