Vergleich auf der Basis von siebzig Centimes vorschlug. Ein Gardeleutnant, den man Unter den Linden nach der Verkaufsstelle einer wirklich guten Fünfpfennigszigarre ansprechen würde, könnte kaum so viel absolut Zerschmetterndes in einen einzigen Blick hineinlegen.
Kenner der Verhältnisse zahlen einfach und rächen sich am Trinkgeld des nächsten Hotelportiers oder aber schleppen sich an ihrem Gepäck lieber sämtliche anatomisch möglichen Brüche, ehe sie die Dienste eines Trägers in Ventimiglia in Anspruch nehmen.
Überhaupt Ventimiglia. Zwiebäcke gelten dort als Halbedelsteine, wenigstens nach dem Preis zu schließen. Auch Kaffee muß dort ungemein schwierig zu beschaffen sein. Eine Tasse Kaffee nebst einem Zwieback kosten in der Bahnhofsrestauration drei Franken. Ich habe nie einen Zwieback so gründlich bis auf den letzten Brösel, der auf den Tisch und meinen Anzug gesprungen war, verzehrt.
Es gibt Leute, die bis Genua gekommen sind und an die französische Riviera möchten, die es jedoch vorziehen, nach Neapel weiter zu reisen, wo sie eigentlich nicht hinwollen, nur um von dort aus mit einem Dampfer nach Marseille zu fahren und auf diesem Umweg unter Vermeidung von Ventimiglia mit seinen Gepäckträgern, seinen kostbaren Zwiebäcken und seinen Zollscherereien an ihr Ziel zu gelangen.
Es ist ein satanisches Vergnügen, als Unbeteiligter einer Zollrevision zuzuschauen. Das angstvolle, verstörte Gehaste, die verzerrten, Goyaschen Grimassen der verhetzten Reisenden! Das verzweifelte Suchen nach den Koffern, das ohnmächtige Geschlepp hilfloser Greise und schwacher Frauen an ihrem Gepäck.
Hermann Harry Schmitz: Der Säugling und andere Tragikomödien. Ernst Rowohlt Verlag, Leipzig 1911, Seite 172. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Hermann_Harry_Schmitz_Der_Saeugling.djvu/172&oldid=- (Version vom 1.8.2018)