Wehneibe Plümecke schaute mich wohlwollender an. „Tja, tja, tja, ich bin in den besten Jahren, das muß man wohl sagen. Nur die dummen Fisteln, diese ärgerlichen Fisteln. Ich leide nämlich an Zahnfisteln, müssen Sie wissen.“
Dabei öffnete sie den Mund und forderte uns auf, hinein zu sehen.
Obgleich ich eigentlich nicht so sehr gern in einen Mund gucke, wo eine Fistel zu sehen ist, tat ich es dennoch mit Rücksicht auf den guten Wein.
Ich sagte voll rührender Teilnahme, obgleich ich gar nichts davon verstand, der Zahn scheine mir heraus zu müssen.
Sie entwickelte dann, warm werdend, des Eingehenden sämtliche Fistelheilungsmethoden, die bei ihr schon Anwendung gefunden hatten, alle ohne Erfolg.
Wir fragten sie, um unser Interesse zu zeigen, ob sie auch in der Fistel singen könnte. Sie sagte, das hätte sie noch nicht versucht und jetzt stände ihr der Sinn nicht nach singen. Morgen aber wolle sie zum Zahntechniker nebenan gehen. Der wäre ihr warm empfohlen und nähme nur die Hälfte von dem, was der Arzt in der Stadt forderte.
Wir stimmten ihr begeistert zu und baten sie, noch eine Flasche zu bringen. Wir hatten in unserer Behandlungsweise das Richtige getroffen; wir bekamen noch die zweite Flasche.
Der Wein im Jägerhaus hatte es uns angetan. Unsichtbare Gewalten zogen uns täglich zu Wehneibe Plümecke. Zwei Flaschen des köstlichen Tropfens hatte sie uns täglich bewilligt.
Ihre Backe wurde täglich dicker, die andere Backe, die die Sache ja eigentlich nichts anging, schwoll vielleicht
Hermann Harry Schmitz: Der Säugling und andere Tragikomödien. Ernst Rowohlt Verlag, Leipzig 1911, Seite 186. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Hermann_Harry_Schmitz_Der_Saeugling.djvu/186&oldid=- (Version vom 1.8.2018)