aus einem gewissen Gefühl für Symmetrie ebenfalls an.
Wir erkundigten uns in wirklich herzlicher Form nach ihrem Wohlergehen und heuchelten ein völliges Aufgehen in ihren Fisteln, ein Interesse, das sich mit nicht anderem mehr in der Welt, als lediglich mit ihrer Person befaßte. Der Wein war aber auch zu herrlich.
Sie sagte, sie fürchte sich, zum Zahntechniker zu gehen. Es schiene übrigens, als ob es so wieder besser würde. Wir möchten doch mal nachschauen, sie hätte ein Gefühl, als ob die Fistel beigefallen wäre. Wir schauten ihr wieder in den Mund – Gott, war der Wein schön – und sagten, das schiene uns auch so.
Am nächsten Tage jammerte sie sehr und brachte aus Versehen einen falschen Jahrgang. Wir machten sie schüchtern darauf aufmerksam und fragten voll innigem Mitgefühl mit einem unterstrichenen Unterton von freudiger Hoffnung, wie es heute ginge, ob es sich gemacht habe. Oder ob sie bei dem Zahntechniker gewesen sei.
Nein, aber sie glaube, daß sie doch in den sauren Apfel beißen müßte, denn es würde täglich schlimmer. Wir möchten nur mal sehen.
Wir starrten, innerlich grausend, äußerlich mit dem Interesse eines allernächsten Verwandten in das Tohuwabohu von verschwollenem Zahnfleisch. Wirklich, es war kein schöner Anblick. Ach, wenn sie nur nicht die letzten Flaschen ihres märchenhaften Trankes in ihrem Keller gehabt hätte!
Wir schüttelten ernst die Köpfe und murmelten:
Hermann Harry Schmitz: Der Säugling und andere Tragikomödien. Ernst Rowohlt Verlag, Leipzig 1911, Seite 187. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Hermann_Harry_Schmitz_Der_Saeugling.djvu/187&oldid=- (Version vom 1.8.2018)