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überdrüssig, weil man sich nicht entlaufen kann: „ich elender Mensch, wer wird mich erlösen vom Leibe dieses Todes? (Röm. 7, 24.) Wer, wenn er älter wird, sich desto mehr liebt, der sehe wohl zu, wie nahe er der Hölle ist. Wer, wenn die Haare bleichen und das ganze Leben mehr in die Innerlichkeit sich zurückzieht, immer mehr an sich Gefallen hat, der mag wohl zusehen, daß nicht einst in einer schweren endlosen Nacht er dieses Gefallen mit bitterstem Weh büßen möge. Wenn du wissen willst, ob du wirklich innerlich vorwärts kommst, so magst du es daran erkennen, daß du, je älter du wirst, je mehr deiner müde wirst. Ich bin es müde zu leiden: immer wieder die alten Sünden, immer wieder die alten Zweifel, immerfort die alten Fragen und Nöte und Sorgen; und so geht es zu Ende und zu Grabe. Aber einer ist in dieser Welt, die sich so wechselt, in der ich meine Lieben längst begraben habe, und wo ich von anderen scheiden muß, einer ist es, der mit gleichbleibender Gelassenheit mich in meinem Unwert und in meiner Not trägt. Das ist nicht eine erdichtete, nicht eine goldglänzende Gestalt der Phantasie und der seligen Idealisierung, sondern eine Menschengestalt, eine menschliche Persönlichkeit, mitten unter uns getreten, zu der ich sagen kann: „willst du mich dennoch tragen?“ und er antwortet: „versuche es, ob ich dich nicht tragen kann!“

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 Wer nicht mit Jesus als mit seinesgleichen anfängt, der kommt nie über sich selbst hinaus. Wer nicht daran festhält: ich bin sein Eigen geworden, weil er mein Eigen ward, meiner Menschheit Genosse, meiner Not Gefährte, meiner Menschlichkeit Teilhaber, der wird nie einen wirklichen Gewinn haben. So sollst du es wissen: Du gehörst ihm an, denn er hat dein Wesen an sich genommen. Versuchet allenthalben, ist er in alle Not hineingegangen; er hat sich’s nicht von dir erzählen lassen, nicht von dir bloß Bericht empfangen, sondern er ist herabgestiegen in deine Not und ihre Tiefen, in deine Sorgen und ihre Angst. Er hat alles geteilt; und wie er es alles durchlitten und durchmessen und