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hat meine Sünde getragen“, dann ist er mein Bruder. Wenn mir eine Seele ganz einfach gesteht: „Ich weiß, daß Er die Fesseln, ob es schwere oder leichte, ob es eherne oder ob es seidene sind, von meiner Hand gestreift“, dann kann ich zu ihr sagen: „Ich danke dir für diese Glaubensstärkung; also habe ich mich nicht getäuscht, du hast dasselbe erfahren: Jesus nimmt die Sünder an.“

 O, meine Christen, die Gemeinschaft, daß drei oder vier Menschen auf diesem Satz einander begegnen, das ist die Kirche. Die Kirche ist die Gemeinschaft derer, die von der Vergebung leben als ihrem täglichen Brot. So wenig wir einander im einzelnen gestehen, womit wir jetzt in dieser knappen Zeit unser Leben fristen, so wenig wollen wir im einzelnen erzählen, wie uns die Vergebung der Seele Leben erhält. Aber das müssen wir immer wieder sagen: „Ich kann es nur Erbarmung nennen, so ist mein ganzes Herz gesagt.“ In dieser Christenheit vergibt Er mir täglich alle Sünden reichlich. Täglich, reichlich, alle.

 Und am jüngsten Tage – das ist die zweite große Wahrheit – wird Er mich und alle Toten auferwecken. Am jüngsten Tage! Ich höre deine Stimme, ich kenne sie: Ach, wie lange, bis der jüngste Tag kommt. Jahrtausende ziehen vorüber, unsere Gräber haben bis zum jüngsten Tage Generationen aufgenommen, unser Staub hat sich, wer weiß mit welchem Staub vermengt, und der jüngste Tag ist immer noch nicht da. O, es gibt keine größere Naivität im Leben, als wenn man die Vorstellungen der engen Zeit in die Zeitlosigkeit überträgt. Das ist eben die Zeitlosigkeit, daß sie nicht Zeit ist. Wenn du einmal gestorben bist, gibt es für dich kein lang und kein kurz mehr; denn dann wird eben die Zeit, dieses enge Gefäß, das dein Leben birgt, zerbrochen; du hast auch keinen Raum mehr, die Seele des Abgeschiedenen ist allgegenwärtig wie der Sonnenstrahl und der Hauch der Luft und dabei doch entweder im Frieden Gottes oder im Unfrieden des Feindes. Nein, es wird nicht lange währen, der