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Leib ist ein ganz anderer als der deiner Kindheit; der Leib der Jugend und des Greisenalters sind ganz verschiedene Lebensgestalten. Jeder Arzt wird dir das sagen, daß von dem ursprünglichen Leib deiner Kindheit nun kein Atom mehr übrig ist. Wir werden immerfort in den Verwesungsprozeß hineinbezogen und sterben täglich. Nun kommt der große, schwere und alle mit Bangen erfüllende Moment, wo wir den Tempel abgebrochen sehen und unsere Seele vom Leibe sich trennt. Es bleibt ein Weh; denn die Herberge verläßt man nicht gerne. Wir haben in ihr Sonne und Sturm, Regen und fruchtbare Zeiten, Friede und Sorge, Angst und Freude erlebt. Wir haben unter dem Leib gelitten und haben unter ihm wieder Freudestunden gehabt. Wir haben uns an ihm aufgerichtet und sind an ihm zuschanden geworden. Er hat uns in schweren Tagen über uns selber hinübergehoben und er hat wiederum an schweren Tagen mit uns, unter uns und in uns gelitten. Und nun heißt es scheiden. Und die Seele ist bloß, wie der Apostel sagt, wir sind entkleidet. Soll das so bleiben? Soll die Seele in der Zeit der Vollendung unvollendet sein? Soll sie des Organes entbehren, durch das sie sich äußert? Soll die Seele loben wollen und nicht loben können, weil der Mund fehlt, schauen wollen und nicht schauen können, weil das Auge gebricht? Soll die Seele hinwallen wollen zum Throne der ewigen Erbarmung und nicht können, weil sie nicht gehen kann? Soll die Seele, die doch wirken möchte, in der Welt der Vollendung tatenlos, in einer stillen, traumlosen Ruhe warten und ewig warten müssen, weil ihr der Leib gebricht? Das sei ferne! Der Gott, Der der Seele hier auf Erden den Leib gönnte, den sie brauchte, und dem Leib die Seele zuwies und zuordnete, die ihm gemäß ist, wird, wenn mein Leib in seine Atome zerfallen sein wird, Staub zu Staub, Erde zu Erde, Asche zu Asche – an Seinem Tage zur rechten Stunde den Leib erwecken.

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