Seite:Hermann von Bezzel - Der Dienst des Pfarrers.pdf/103

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

soll, welche dann nimmer als Gnade empfunden würde. Wenn der Arzt es verbietet, weil der Kranke „aufgeregt wird“, da suche der Geistliche zu beweisen, daß er nicht aufregen und verunruhigen, sondern Frieden bringen wolle. Wenn aber die Abweisung bleibt, so bete er, weil er mit dem Kranken zu beten verhindert ward, desto ernster für ihn. Er selbst aber ist der Verantwortung los. – Die Seelsorge selbst wird nur zwischen den beiden Polen von Sünde und Gnade sich bewegen müssen, sei es der Einzelsünde, die das Leiden herbeiführt, sei es der Sünden, die das Leiden erkennen lehrt, sei es, und das wird zunächst das Rätlichste sein, zwischen der Gottesferne und den vielen in ihr zugebrachten Zeiten und der Bedürftigkeit und Hilflosigkeit, der nur die Gnade steuern kann. Es sei aber die Seelsorge maßvoll, nicht treiberisch: siehe, der Sämann wartet, er ist geduldig darüber (Jak. 5, 7)! Sie rede auch nicht zu schnell vom Tode noch zu leichthin von der nahen Besserung, wie überhaupt der Geistliche trotz aller „Pastoralmedizin“ und den Ratschlägen unsrer alten Kasuisten ängstlich und ernstlich sich hüten soll, in Gebiete überzugehen, die er nicht übersieht und nicht zu verstehen braucht. Wenn aber der Tod näher kommt – der erfahrene Seelsorger kennt die Zeichen seiner Nähe eben aus der Beobachtung heraus –, scheue er sich nicht, auf den Ernst der Lage hinzuweisen, und sei es nur in der Mehrung der Besuche und in dem Ton, den die Gebete treffen. Dabei aber vergesse er nicht, daß der Gott noch lebt, der dem todkranken Hiskia Zulage von fünfzehn Jahren gab, und Wunder tun kann, wenn