Seite:Hermann von Bezzel - Die sieben Sendschreiben.pdf/47

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

zur letzten Todesstunde, sondern bis es mit dir zum Sterben kommt, und dies Sterben ist ein tägliches. „Halte aus, halte das Gelübde, das du mir gegeben hast bis zu dem Momente, wo ich dich auf die Probe stelle, indem ich dir alles nehme, alles von dir wenden muß und du gar aus sein sollst.“ Treue und Tod, das sind die beiden Gegensätze und Pflichten, die dem Christen erwachsen. Des Christen Pflicht ist Sterben; aber seine Pflicht ist zugleich leben und Lebenstreue üben. So fügen wir diese beiden gegensätzlichen Pflichten in die Aufgabe zusammen: „Indem ich sterbe, bleibe ich treu und weil ich treu bin, darum sterbe ich.“ Er nimmt von uns alles, alles und spricht: „Ich will dir den Kranz des Lebens geben.“ – Also sind unsere Kränze längst abgefallen; denn wo auf dem Haupte schon ein Kranz sich findet, setzt Christus nie einen überschüssigen und überflüssigen auf das Haupt. Er will uns alle, alle Kränze nehmen. Denn er nimmt alles weg, was das Leben schmückt. Hier liegt die geheime Treue, daß wir uns jeden Tag in die Stunde versetzen, wo man alles lassen muß. – Wir haben gewiß schon Sterbende gesehen. Was ist es doch für ein armes Ding, wenn der Herr so eins ums andere auszieht! Nun zieht er den Blick weg, der noch einmal ein freundliches Antlitz erfassen kann, nun nimmt er das Gefühl, das für den Druck der Freundeshand noch empfänglich war, dann das Gehör, sodaß selbst sein Wort scheinbar die Seele nicht mehr trifft. Es bricht das Auge, das so oft auf die Eitelkeit gerichtet war, damit in letzter Stunde es nur ihn sehe. Es schließen sich die Ohren, die so oft auf das Tosen und Kosen dieser Welt begierig lauschten, damit sie die Ewigkeit