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zitierte: Wie bist du vom Himmel gefallen, du schöner Morgenstern! – Der in den Abgrund Verstoßene – der mit den Ehren des Bekenners gnadenreich gekrönte Konfirmator deutscher Lande – hier war wiederum keine Vermittlung möglich. So aber ist’s geblieben und wird’s bleiben, bis Gott ins Mittel tritt: den Geist dämpft nicht, die Weissagung verachtet nicht! Janssen und Grisar, Denifle und selbst Majunke haben in gutem Glauben gehandelt, aber selbst ihre Objektivität ist Verurteilung. Das Dogma muß die Geschichte korrigieren (Manning s. Friedrich, Geschichte des vatikan. Konzils III. Bd.).

 Warum haben wir Luther lieb? Unsere katholischen Mitbürger verstehen dies nicht und können es nicht begreifen – wir verstehen diese Befremdung. Nicht recht aber verstehen, vielmehr tief beklagen werden wir, wenn Kinder der Reformation ihn nicht lieben und unsere Liebe belächeln und verwunderlich finden. Da gibt es etliche Protestanten, denen Luther der Mönch ist, dem die mittelalterliche Kutte um die Füße schlägt. Seine Anschauungen und Glaubensmeinungen, seine Lehre und Predigt sind befangene, gebundene, einseitig beschränkte Gedanken, denen er sich einmal, etwa um 1520, mit kühnem Ruck entreißen wollte. Aber der Riß in der Kutte war nicht ihre Ablegung und der Anlauf zur wahren Freiheit der Bekenntnislosigkeit blieb eben ein Anlauf. Das mönchisch befangene Wesen trat lähmend und fesselnd wieder herzu. Ihr echter Luther müßte etwa bei denen um Ostwald zu suchen sein, wo nur noch das Gewissen, das „Bewußtsein des Rechten“, wie der alte Heidelberger Paulus meinte, dem Menschen Gesetz ist. Was er nicht annehmen will, das bleibt verworfen. „Im echten Protestantismus richtet jeder sein Verhältnis zu unserem Herrgott, wie er will, nicht wie Gott will.“ Mit Leid gedenken wir derer, die nur von einem verkümmerten und verkrüppelten Luther zu reden wissen, der nie das geworden ist, was er hätte werden sollen und können und vielleicht auch wollen. Die Kutte war zu schwer, der Glaubensstrick zu hart und zu fest.

 Aber wir verstehen sie doch noch eher als die ästhetischen Seelen, denen der Bauer Luther zu wenig geistlich, zu rüde und zu gewöhnlich ist, die einen Reformator eher aus dem aristokratischen Holze eines Calvin oder aus den zierlichen und zarten Abbe’s des 18. Jahrhunderts sich ersehnen. Das matte Zeug ohne Saft und Kraft wie lauter welke Blüten und Kamillenblümlein, wie Mörike einmal sagt, will diesen empfindsamen Leuten eher zusagen, als die kraftvolle,