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reisige, derbe, zuweilen auch rohe Art Luthers, der mit beiden Füßen auf der Erde, auf fränkischer Erde stand, ein rechtschaffener Bauer auch im Priesterrock und im Professorentalar blieb und bleiben wollte. „Der Bär brummt eben immer nach der Höhle, in der er geboren ward“ sagt Goethe einmal. Wir entschuldigen Luthers Derbheit nicht und ahmen sie auch nicht nach, doch sind zu Zeiten goldene Rücksichtslosigkeiten erquicklich und wirken befreiend. Noch weniger freilich sammeln wir aus seinen Schriften, den Gelegenheitsworten und Tischreden alle Kynismen – Kaulbach hat in einer Zeichnung von den vier Haimonskindern und dem nachlaufenden Manne, der aufliest, was das Pferd nach seiner Art der Straße gibt, die rechte Kritik darüber gesprochen. Es hat ja auch nicht gefallen können, als Gladstone aus allen Enuntiationen Pius IX. die Scheltworte sammelte. – Nein, weil Luther oft derb redete, darum redete er bezeichnend, markig und konkret. Das Bild dessen, was er meint, steht alsbald vor Augen. Die feinen Seelen, denen es in Luthers Nähe den Atem beklemmt und das Herz beschwert, sollen erst einmal „reden mit seinen guten Worten!“ Dann werden sie das andere in den Kauf nehmen. Sie sollen auch bedenken, wie die Weltbühne, auf die Luther trat, beschaffen war. Nicht glatter Parkettboden, sondern roh gezimmerte und rauh gefügte Balken, Bretter und Bohlen streckten sich hin, auf denen hart und herb geredet wurde; das rauchlose Pulver, sagt Hausrath in der herrlichen Vorrede zu seinem Luther, war damals noch nicht erfunden. Ein alter Gottesmann hat einmal gemeint, niemand habe St. Paulum auf der Kegelbahn, noch St. Petrum mit den Karten in der Hand abkonterfeit, das sollten die Theologen sich merken. Ich füge hinzu: Und niemand wird Luther mit Glacehandschuhen, gebügelt und geschniegelt, abbilden, sondern als den groben Waldrecher, der einherfährt. „Die kranke Zeit brauchte einen scharfen Arzt“ sagt seine Leichenrede mit Recht.

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  Warum aber haben wir Luther lieb, so daß selbst schwere, kaum überbrückbare Gegensätze vor ihm sich schlichten und im Sang des Lutherliedes Heimat und Fremde, Nähe und Ferne, ja noch größere Trennungen wie untergehen? Warum freuen wir uns, ihn verstehen zu können und trauen ihm, wenn wir ihn nicht oder minder verstehen, daß doch wieder ein Licht uns aufgehen möchte, das ihn uns näher bringt? Warum jauchzt unsere Seele, wenn sie seinen Worten lauscht, die so schlicht einhergehen und doch wie eitel Musik uns anmuten,