Seite:Herzl Philosophische Erzaehlungen.djvu/11

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seiner eigenen Geschäfte eingedenk sein müsse. Denn er mochte keinen Vortheil für sich vom Staate haben. Er war ein Kaufmann und wollte nichts Anderes sein.

Solons Abschied betrübte die Athener sehr, und die allgemeine Unzufriedenheit wandelte sich in Dankbarkeit und Rührung, da der Gesetzgeber von dannen zog. Solon segelte wohl über das weinfarbene Meer. Mit liebendem Blick sah er zurück nach der Küste Attikas, die in einem Sonnenstaube verblaßte, verdämmerte und entschwand. Seine Brust hob sich in Seufzern, und die Augen waren ihm ganz voll von Thränen. Da ward ihm die Dichtung zu einem guten Trost, und dieweil das Schiff an den rosig überhauchten Kykladen vorüberglitt, vorbei an Andros, Tenos, Naxos, vorbei auch später an Rhodos, hinaus ins karpathische Meer – sang sich Solon in glücklichen Hexametern[1] die Schmerzen von der Seele weg. Wie in den Tagen seiner Jugend war er nur noch ein Kaufmann und Poet.

In Aegypten nahm er zuerst längeren Aufenthalt. Hier waren Psenophis von Heliopolis und Sonchis von Sais die Gesellen seiner nachdenklichen Stunden. Diesen klugen und gelehrten Priestern verdankte er die erste Kunde von der Insel Atlantis, die in wundervollen Tagen jenseits der Säulen des Herakles schimmerte und von der Oberfläche des Meeres verschwunden ist, weil sie so herrlich war. Nachdem er sich mit der Weisheit der Aegypter vollgesogen hatte, wie ein Schwamm, fuhr Solon weiter. Auf Cypern war er der willkommene Gast eines Herrschers, dem er die königliche Gastfreundschaft solonisch vergalt. Er rieth und half dem Könige, dessen Stadt Aepeia auf einer ungünstigen Anhöhe lag, die ganze Stadt hinunter in eine prächtige Ebene zu legen. Denn der Blick Solons war immer ins


  1. [Hexameter ist ein Versmaß]
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Theodor Herzl: Philosophische Erzählungen. Gebrüder Paetel, Berlin 1900, Seite 6. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Herzl_Philosophische_Erzaehlungen.djvu/11&oldid=- (Version vom 1.8.2018)