vorbei, starrte sie vielsagend an: Da bin ich – erkennst Du mich! Ach nein, sie erkannte mich nicht. Fremd und abweisend strich ihr Blick über mich hinweg. Als ich meine komischen Bemühungen beharrlich fortsetzte, machte sie endlich ihren Liebhaber aufmerksam. Und beide kicherten dann über mich. Es war für beide ein Hauptspaß. Ich hatte genug, schlich zerknirscht und beschämt von dannen. Ich habe sie nie mehr gesehen.“
„Und das ist Alles?“ rief spöttelnd Herr Fritz.
Der Doktor aber sagte ernsthaft: „Junger Fritz, Sie sind unendlich jung. Wenn ich das Schulbeispiel der wahren Liebe zu geben hätte, ich wüßte kaum ein deutlicheres. Denn hier ist Alles Illusion, Traum, Einbildung. Ein Hauch, ein Blick, ein Lächeln genügt.“
Und Herr Paul schloß mit einem leichten Seufzer: „Ja wohl. Doch zürne ich der Madeleine von Commercy nicht, habe ihr nie gezürnt. Denn ich verdankte ihr köstliche Jahre einer schönen Sehnsucht. Und wenn ich’s recht bedenke – was ist das Leben aller sensitiven Menschen Anderes als die Reise nach einem Lächeln?“
Theodor Herzl: Philosophische Erzählungen. Gebrüder Paetel, Berlin 1900, Seite 109. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Herzl_Philosophische_Erzaehlungen.djvu/114&oldid=- (Version vom 1.8.2018)