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Man klopfte.

„Herein!“ rief sie; blieb aber bewegungslos auf ihrem unbequemen, gradlehnigen Sessel sitzen. Sie wandte nicht einmal den Kopf; weder nach links, dem Eintretenden entgegen, noch auch nach rechts, wo sie ihn hätte im Spiegel erblicken können. Dennoch fragte sie zweimal ungeduldig: „Wer ist es?“

Er hatte nicht geantwortet, sondern war langsam und lautlos auf dem dicken Teppich dieses eleganten Ankleidezimmers an sie herangekommen. Nun stand er vor ihr und sagte: „Wie Sie heute wieder aussehen, Frau Käthe!“

„Ah, Sie sind es, Doktor! … Warum blieben Sie nicht ganz ruhig auf Ihrem Parquetsitz, wenn ich Ihnen gefiel? Die Schminke sieht in der Nähe abscheulich aus. Sie werden sich noch alle Ihre Illusionen erkälten! … Jetzt ist das Unglück geschehen. Sie dürfen da bleiben, ich habe im zweiten Act nichts zu thun.“

Der Doktor saß ihr schon gegenüber und lachte. „Wissen Sie, was mich an Ihnen immer von Neuem betroffen macht? Sie werden es nicht errathen. Sie sind die größte Künstlerin und eine der schönsten Frauen, die ich kenne. Aber daran habe ich mich allmählich gewöhnt. Sie lächeln spöttisch – genau so wie jetzt – wenn man Ihnen eine Schmeichelei sagt. Das ist auch eine seltene

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Theodor Herzl: Philosophische Erzählungen. Gebrüder Paetel, Berlin 1900, Seite 153. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Herzl_Philosophische_Erzaehlungen.djvu/158&oldid=- (Version vom 1.8.2018)