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modifiziren. So bringt man an irgend einer vorhandenen Maschine ein neues Schräubchen oder Rädchen an und man hat eine ganz verschiedene Maschine – kriegt darauf sogar ein Patent. – Ich war bis zu jenem kritischen Augenblicke ein gewöhnlicher Vergnügungsmensch gewesen, sorglos, leichtsinnig, für alle Lebenslagen ausgestattet mit einem wohlfeilen Gassenjungen-Skeptizismus, und die Kenntnisse, die meine Lehrer mir einst so schwer eingetrichtert, hatte ich vollkommen verschwitzt. In der Knabenzeit, als wir Zoologie lernten, hat man uns bei der „ersten Gattung“ natürlich auch das Skelett eines Homo sapiens gezeigt. Aber dieses machte uns jungen Gedankenlosen keinen viel größeren Eindruck, als das Gerippe eines Geiers oder Pferdes. Mein Standpunkt in dieser unklaren Epoche meines Lebens, die bis in mein Mannesalter reichte, dürfte beiläufig der gewesen sein: Das Skelett des Homo sapiens geht mich nichts an, ich bin jedoch jedenfalls etwas ganz Anderes. Ich war daher eigentlich sehr überrascht, als ich unter der Pincette des Duellarztes sekundenlang meinen Knochen schimmern sah. Klingt das albern? Vergessen Sie nicht: ich war ein Unwissender!… Vielleicht wäre diese Sensation bald wieder verblaßt und verzogen, wenn ich den lustigen Wirbel meiner gewohnten Lebensweise hätte gleich fortsetzen können. Die Wundkrankheit kam aber dazwischen. Das Krankenlager hat schon Manchen zum Philosophen gemacht. In meiner Schwäche überfiel mich die sonderbare Skelettgrübelei, diese neue Gefährtin meiner Tage und Nächte, und als ich endlich genesen, da war sie schon so stark erwachsen, daß ich sie nicht mehr verjagen konnte. Ich litt schwer darunter. In meiner Unerfahrenheit wußte ich nicht, daß es nur die Geburtswehen der Erkenntniß waren. Es macht dieselben jeder

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Theodor Herzl: Philosophische Erzählungen. Gebrüder Paetel, Berlin 1900, Seite 170. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Herzl_Philosophische_Erzaehlungen.djvu/175&oldid=- (Version vom 1.8.2018)