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… Hochsommertag. Eine eigenthümlich, schläfrige, warme Stille liegt über dem Garten. Unter dem großen Ahornbaum wartet Fritz auf sie. Bei Tische hat ihm nämlich Cousine Clara zugeraunt, daß sie ihm etwas Dringendes sagen wolle – Nachmittags, wenn Niemand im Garten sein werde, unter dem Ahornbaum. Was das wohl zu bedeuten habe? Sein Gymnasiastenherz schlägt heftig. Wird sie ihm die erfreuliche Mittheilung machen, daß sie ihn liebe? Vorsichtsweise hat er einige Gedichte, die er für sie während des ganzen Schuljahres geschrieben, zu sich gesteckt. Denn er liebt sie schon lange – zu Ostern waren es zwei Jahre, daß er dieses Gefühl in sich entdeckt hat. Gesprochen hat er natürlich nichts davon – es ist ja die erste Liebe … Schritte knirschen über den Kiesweg, ein blaues Kleid schimmert durch die Büsche, sie kommt.

„Fritz!“

„Da bin ich. Was willst Du mir sagen?“

„Zuerst schwöre mir, daß Du treu und verschwiegen sein wirst!“

„Treu und verschwiegen! Bis in den Tod! Ich schwöre es Dir!“

„Gut, gut … Oh, vorher noch Eins! Liebst Du mich?“

„Ob ich Dich liebe, Clara?“

„Ja. Ich meine aufrichtig?“

„Wie kannst Du nur fragen?“

„So will ich mich Dir ganz anvertrauen.“

„Wann wird sie mir denn endlich um den Hals fallen?“ denkt sich Fritz. Er ist aber zu bescheiden, um den Anfang zu machen.

Sie fällt ihm nicht um den Hals, sieht sich aber noch einmal vorsichtig um:

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Theodor Herzl: Philosophische Erzählungen. Gebrüder Paetel, Berlin 1900, Seite 198. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Herzl_Philosophische_Erzaehlungen.djvu/203&oldid=- (Version vom 1.8.2018)