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Wenn Du etwas Gutes thust, so verbirg
Deine Beweggründe sorgfältig.     


Der erste Liebhaber, Herr Philipp Schaumschlager, feierte sein fünfundzwanzigjähriges Jubiläum als Mitglied des herzoglichen Hoftheaters. Das erregte kein kleines Aufsehen in der Residenz. Die „deutsche Residenz!“ Sie kennen diesen Ort vielleicht bloß aus unserm braven, charakterlosen und spießbürgerlichen deutschen Lustspiel – aber das genügt vollauf, um Ihnen einen solchen Ekel vor der „Residenz“ einzuflößen, wie wenn Sie zehn Jahre in ihr gelebt hätten. Was sind unsere gefeierten Bühnenschriftsteller doch für große Satiriker – ohne es zu wissen – wie wunderbar machen sie die Gegenstände herunter, mit welchen sie sich beschäftigen! … In der Wirklichkeit, die vom herkömmlichen Drama so weit entfernt liegt, ist jedoch die Residenz wenn möglich noch charakterloser, verklatschter und beschränkter. Und darum erregte das Jubiläum des Herrn Schaumschlager so viel Aufsehen. Dieser Zug im Bilde der Residenz ist von unseren gottbegnadeten Poeten noch nicht festgehalten worden. Sie widmen die ganze Schärfe ihrer Beobachtung, den bezaubernden Glanz ihrer Darstellung lediglich dem Herrn Kommerzienrath, der nie vor ¾10 Uhr in die Heirath seiner Tochter willigt, und wenn es hoch kommt, greifen sie aus der Zeit das, was ihr das Gepräge gibt: eine Leutnants-Uniform, heraus. Es geht aber noch Anderes in der Residenz vor: zum Beispiel die Vergötterung des Schauspielers. Die beiden Blätter der Stadt fröhnten natürlich dem lebhaften

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Theodor Herzl: Philosophische Erzählungen. Gebrüder Paetel, Berlin 1900, Seite 205. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Herzl_Philosophische_Erzaehlungen.djvu/210&oldid=- (Version vom 1.8.2018)