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„O ja,“ sagte dieser schüchtern und nannte einige Rollen, darunter auch die gestern von Schaumschlager gespielte.

„Schön, lassen Sie mich das hören!“

Abermals legte Meier los – sein Zuhörer gab ihm stellenweise die Replik – und abermals meinte Schaumschlager im Stillen, daß er noch nie etwas Talentloseres vernommen habe. Um so besser! Der da würde ihn nie beim Publicum in Vergessenheit bringen. Wenn er noch vor erreichtem „höchsten Greisenalter“ die ganz jugendlichen Rollen an den da abgäbe, würde die schmerzliche Lücke immerdar weiter klaffen. Und Eberling wäre geprellt.

Als Schaumschlager seinen schnell gefaßten Entschluß dem jungen Meier mittheilte, da sank dieser vor ihm in die Knie, küßte ihm unter aufrichtigen Thränen die Hand und stammelte: „Mein Wohlthäter! Mein Wohlthäter!“

Vorerst galt es freilich, den Burschen heranzubilden. Er konnte nicht gehen, nicht stehen und nicht sitzen; er hatte ein sprödes Organ, sein Gesicht war in der Ruhe stumpf, in der Bewegung grotesk. Aber er war unendlich willig. Schaumschlager drillte ihn wie ein Murmelthier. Manchmal kam eine Verzweiflung über den Meister, wenn er den Schüler in hölzerner Steifheit vor sich sah – dann brauchte er jedoch bloß an Eberling und das höchste Greisenalter zu denken, und das flößte ihm frischen Feuereifer ein. Meier war arm wie eine Kirchenmaus. Der Wohlthäter kleidete ihn, nährte ihn, gab ihm Taschengeld und Cigarren. Er that noch mehr: er lancirte ihn. In der Kunst ist die Lancirung Alles. Die verschollene edle Fertigkeit der Falknerei bietet dafür ein Gleichniß. Der Falke saß auf der Faust des Jägers. Dieser nahm dem Vogel die Haube ab, warf ihn kräftig in die Luft, und dann erst kam der Flügelschwung zur Geltung. So that auch

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Theodor Herzl: Philosophische Erzählungen. Gebrüder Paetel, Berlin 1900, Seite 212. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Herzl_Philosophische_Erzaehlungen.djvu/217&oldid=- (Version vom 1.8.2018)