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waren. Die Uebrigen, auch die Fremdesten, sprachen doch ab und zu mit einander, und die jungen Mädchen schäkerten, kicherten, spielten Tennis auf der Wiese oder Gesellschaftsspiele im Salon, wenn es regnete. Nur Sarah Holzmann war immer einsam. Ihre Mutter schien sich wenigstens nicht zu langweilen, da ihr der geschniegelte Baron beständig zur Seite war. Herr Hellmund empfand in seiner Gutmüthigkeit ein rechtes Mitleid mit dem einsamen Kinde, das sich dort in der Laube mit aufgestütztem Arm über sein Buch beugte. Er stand auf und ging mehrmals an der Laube vorbei. Da bemerkte er zu seinem Erstaunen, daß Sarah Holzmann garnicht las, sondern hinter der vorgehaltenen Hand gar traurig über den leblosen See hinschaute, wie wenn sie an jenem Ufer etwas suchte. Doch als er ihr in seiner ungeschickten Neugier zu nahe kam, fuhr sie zusammen, starrte ihn einen Augenblick scheu und finster an und sah dann mit gerunzelter Stirn regungslos in ihr Buch.

Als die Sonne tiefer stand, ging Herr Hellmund mit Herrn Gerhard durch den Fichtenwald gegen Sankt Leodegar zu. Herr Gerhard gab wieder recht einsilbige Antworten auf die Anregungen und Fragen seines Begleiters. Nachdem sie etwa eine halbe Stunde dahingeschritten waren, hörten sie in der Ferne des Weges laut streitende Stimmen, die sich näherten. Es war Dr. Hübner Bey und dessen Frau. Wie diese die Entgegenkommenden bemerkten, schwiegen sie. Im Vorbeigehen ließ der Bey seine erhitzte Gattin ein paar Schritte voraus und hielt Herrn Gerhard an:

„Leben Sie wohl! Ich reise heute Abend.“

„So plötzlich? Wohin?“

„Nach Afrika. Ich vertrage wieder einmal – Europa nicht.“

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Theodor Herzl: Philosophische Erzählungen. Gebrüder Paetel, Berlin 1900, Seite 44. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Herzl_Philosophische_Erzaehlungen.djvu/49&oldid=- (Version vom 1.8.2018)