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erprobten Späße vor. Ich unterhielt sie und mich königlich. Am nächsten Morgen meldete ein Telegramm des Vaters, daß er noch früher als versprochen zurückkehren werde. Wir freuten uns sehr, und unsere Freude währte bis zum nächsten Abend. Frau Holzmann war mit Sarah zeitlich zur Ruhe gegangen. Um den Baron los zu werden, der mich langweilte, machte ich eine Kahnfahrt, wovon er kein Freund war. Ich ruderte weit hinaus und kam zurück. Als ich den Hügel zum Seehof hinanschritt, war im ganzen Hause kaum ein Licht mehr zu sehen. Alles schon zur Ruhe. Nach dem raschen Aufstiege hielt ich oben still, um mich zu verschnaufen. Da hörte ich etwas – einen langgezogenen unterdrückten Ton, der mich sogleich, noch bevor ich ahnte, was es war, mit Grausen erfüllte. Denn es war ein Ton des größten Schmerzes, eigentlich gar nicht mehr wie vom Menschen klingend, obwohl es eine menschliche Stimme war. Es näherte sich dem Winseln eines sehr gemarterten Hundes. Ich ging auf den Ton zu. Im feuchten Grase vor dem Gebüsche am Hügelrand lag eine kleine helle Gestalt flach ausgestreckt, das Gesicht auf den Boden gedrückt. Da war ich schon bei ihr und hatte sie erkannt.

„Sarah!“ rief ich unwillkürlich ebenso leise wie sie wimmerte. „Um Gotteswillen, was gibt es?“

Sie hörte mich nicht oder wollte nicht hören. Ich sah, daß sie statt zu antworten in die Erde hineinbiß, um ihr Stöhnen zu ersticken. Ich sah auch, daß sie nur mit einem Röckchen und der Nachtjacke bekleidet und bloßfüßig heruntergelaufen war. Mit einem Sprung war ich beim offenen Fenster meines ebenerdigen Zimmers, schwang mich hinein, holte einen dicken Plaid, und wie ich wieder bei ihr war, nahm ich vor Allem die Zarte und wickelte

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Theodor Herzl: Philosophische Erzählungen. Gebrüder Paetel, Berlin 1900, Seite 48. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Herzl_Philosophische_Erzaehlungen.djvu/53&oldid=- (Version vom 1.8.2018)