nicht so schroff sich geltend machte, wie das nachgerade eintrat. Die Geschlechter, die Patricierfamilien waren längst vertrieben, und es fand sich der Bürger nur seinesgleichen gegenüber. Nur der Besitz bildete im öffentlichen Leben den Unterschied; aber der Kaufmann hieß eben „Handler,“ mochte er den Zucker lothweise verkaufen oder mit seinen Goldwaaren in Frankfurt und Leipzig die Messe beziehen; der Goldschmied hieß eben Goldschmied und war Geselle oder Meister und noch nicht Fabrikherr und Arbeiter.
Es war noch eine Zeit, wo in den Mauern dieser Stadt die äußern Abzeichen des katholischen Glaubens etwas galten, wo die Rathsherrn mit dem Rosenkranz in der Hand auf das Rathhaus gehen mußten; weil es so die Bürgerschaft, wie die Chronik erzählt, im Zeitalter der Glaubenstrennung von seinem Magistrat verlangte, da sie einmal von ihm fürchtete, er denke die Stadt in den Abfall anderer Reichsstädte Schwabens hineinzuziehen. Es war noch eine Zeit, wo ein ehrsamer Rathsherr Freimaurer sein und doch alle Samstag Abend mit der versammelten Familie den Rosenkranz auf den Knien beten konnte.
Bei Verhältnissen, von denen diese wenigen Züge ein ungefähres Bild entwerfen können, ist es leicht begreiflich, daß die Darstellung des Passionsspieles nicht bloß den Armen und Niedrigen zufallen konnte. Die vornehmen Rollen mußten wohl Reiche übernehmen, da die Kleidung manch’ schönes Stück Geld
Franz Joseph Holzwarth: Passionsbilder. Franz Kirchheim, Mainz 1856, Seite 125. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Holzwarth_Passionsbilder.djvu/131&oldid=- (Version vom 1.8.2018)