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heftige Szenen, Klagen und Vorwürfe, die unser Heim mit ansahen.

Dann bezog ich die Universität. Gering war der Wechsel, den ich von Hause bezog, so gering, daß ich mir durch Stundengeben etwas dazu verdienen mußte. Neidisch schaute ich auf meine glücklicheren Kommilitonen, die, die bunte Mütze schief auf dem Haupt und das dreifarbige Band über der Brust, ihr Leben, ihre Jugend sorgenlos genossen. Und damals war es, als die erste Versuchung an mich herantrat. In dem lieblichen Jena, diesem Städtchen, in dem der Bruder Studio noch immer die Hauptrolle spielt, unterrichtete ich den Sohn eines Kommerzienrats. Bald wußte ich in dessen Privatwohnung so gut Bescheid, daß ich bei günstiger Gelegenheit ohne besondere Gefahr einen Plan hätte zur Ausführung bringen können, der sich mir förmlich aufdrängte und der mir endlich zu dem verholfen haben würde, was ich bei meiner unbefriedigten Genußsucht für das Begehrenswerteste im Leben hielt: Geld – Geld –! – Ich wußte, wo der Kommerzienrat sein Bargeld aufbewahrte, wußte genau den Tag, wo die Villa von allen Bewohnern verlassen war – und bebte doch im letzten Augenblick zurück, rannte hinaus in die grünen Berge Thüringens, flüchtete vor mir selbst, vor dieser teuflischen Stimme in meinem Innern, die mich zu verbrecherischem Tun verleiten wollte –. Damals – und später noch oft, so oft! – siegte das Bessere in mir, behielten noch die edleren Regungen die Überhand. – Oder – war’s doch nur Feigheit, die mich immer wieder in solchen Stunden der Anfechtung zurückschrecken ließ vor dem Äußersten –? War’s nur das Gefühl, die Überzeugung,

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Walther Kabel: Irrende Seelen. Leipziger Kriminalbücherverlag, Werner Dietsch Verlag, Leipzig 1919, Seite 10. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Irrende_Seelen.pdf/10&oldid=- (Version vom 1.8.2018)