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2. Kapitel.

Ich schlief den Rest dieser Nacht fest und traumlos. Erst die helle Sonne, die mein Zimmer in eine Fülle von Licht tauchte, weckte mich. – Eine halbe Stunde später war ich mit meiner Toilette fertig und machte mich dann auf den Weg zu einem alten Bekannten, der sein Anwaltbureau in der Nähe des Kriminalgerichts in Moabit aufgeschlagen hatte. Vielleicht half Zunker mir aus der Verlegenheit. Auf ihn setzte ich meine letzte Hoffnung.

„Der Herr Rechtsanwalt ist geschäftlich nach Warschau gereist,“ erklärte mir der Bureauvorsteher auf meine Frage höflich.

„Und wann kommt er zurück?“

„Das ist unbestimmt. In drei bis vier Tagen.“

Ich fühlte nicht einmal Enttäuschung bei diesem Bescheid. Das Schicksal wollte es nicht anders. Ich sollte den neuen Weg beschreiten, sollte werden, was ich längst in Gedanken war – ein Verbrecher, einer, der den Kampf gegen die Gesellschaftsordnung mit aller Schlauheit, mit allen Mitteln des gebildeten Mannes führen wollte.

Daran, noch ins Geschäft zu gehen, wo man mich heute trotz meines Entlassungsgesuches sicher noch erwartete, dachte ich nicht. Gemächlich ging ich die Turmstraße hinunter. Ich wollte mich bei dem warmen Herbstwetter auf eine Bank unter die alten Bäume des Moabiter Tiergartens setzen und Pläne schmieden. Irgend etwas würde mir schon einfallen, irgend etwas –. Es gab ja so viele Möglichkeiten,

Empfohlene Zitierweise:
Walther Kabel: Irrende Seelen. Leipziger Kriminalbücherverlag, Werner Dietsch Verlag, Leipzig 1919, Seite 16. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Irrende_Seelen.pdf/16&oldid=- (Version vom 1.8.2018)