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Onkels Arbeitszimmer war das der Eingangstür am nächsten liegende. Ich mußte also die sämtlichen Räume passieren, bevor ich dorthin gelangte. Überall standen die Flügeltüren weit offen.

Jetzt schlug ich den schweren, türkischen Vorhang zur Seite und … blieb im Türrahmen wie versteinert stehen. Mein Herzschlag stockte. Wahnsinniges Entsetzen packte mich. Ich wollte fliehen und doch hafteten meine Füße wie gebannt am Boden …

Denn mitten auf dem Teppich vor dem kleinen Rauchtischchen lag die starre, regungslose Gestalt eines Mannes, hell beschienen von der Sonne, die durch die Scheiben der Balkontür in breiten Strahlen hereinflutete.

Minutenlang stand ich so da, ohne ein Glied zu rühren. Ich konnte meine Augen nicht von dem Toten wenden, stierte ihm wie hypnotisiert in das bleiche Gesicht, das mir so merkwürdig bekannt vorkam.

Dann ein Gedanke, eine blitzschnelle Erinnerung an den gestrigen Vormittag. Ein Bild tauchte vor mir auf: Lautenborns Zimmer, darin ein Mann mit einem selten schönen, wie aus Stein gemeißelten Charakterkopf, der so geistreich, mit so spielender Leichtigkeit zu plaudern verstand …

Der Tote konnte nur der Schauspieler Schwechten, der Freund Lautenborns, sein. Ein Irrtum war ausgeschlossen …

Diese Erkenntnis gab mir mit einem Schlage meine Ruhe zurück. Nachdem ich die erste Bestürzung überwunden hatte, näherte ich mich kaltblütig dem Toten und beugte mich über sein Gesicht,

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Walther Kabel: Irrende Seelen. Leipziger Kriminalbücherverlag, Werner Dietsch Verlag, Leipzig 1919, Seite 43. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Irrende_Seelen.pdf/43&oldid=- (Version vom 1.8.2018)