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Hund lagerte sich gehorsam neben den Stuhl der Dame. Der Greis griff die Leckerbissen des Frühstücks tapfer an, dabei zitterte aber seine Hand ganz außerordentlich. Wenn er ein Stück mit der Gabel pickte, bewegte sich diese im Zickzack wie ein Blitz, und die Teetasse zum Munde zu führen, war für ihn ein Balancierkunststück. In Deutschland nennt man solche Nervenschwäche Tatterich, und mein erster Verdacht war, daß der Alte in seinem langen Leben den geistigen Flüssigkeiten mehr zugesprochen haben möchte, als für Leib und Seele gut ist. — Noch auffälliger wurde das Benehmen der Dame. Sie hatte für sich Kuchen bestellt und benutzte in der Tat die Vorräte des Frühstückstisches nicht für sich, sondern nur zur Fütterung des Bijou. Als nun der Kellner den Kuchen brachte, muß er zufällig den Köter getreten haben, jedenfalls sprang dieser beleidigt knurrend in die Höhe, aber noch heftiger sprang die Dame auf. Ich sah zufällig, wie sie dem Kellner einen Blick zuschleuderte, als müsse sie ihr Leben gegen ihn verteidigen. Dann kniete die seidenumflossene Dame nieder zu dem Köter, untersuchte liebevoll seine getretene Pfote, streichelte ihm den Hals und herzte ihn mit einem Sturm des Gefühls, der die geknickte Blume völlig umzuwandeln schien. Ich sagte mir, daß sie mindestens stark hysterisch sei, wandte meine Augen ab und brachte mein Frühstück schneller zu Ende, als bei dem Überfluß an Leckerbissen und an freier Zeit bei mir nötig war. Kaum war ich aufgestanden, redete mich der Alte an: „Sie verzeihen, mein Herr, könnten Sie uns wohl den Weg zum Rijks-Museum andeuten?" Ich hatte ganz in der Nähe dieses Museums zu tun, und wenn ich mir auch sonst nicht gerade diese Gesellschaft ausgesucht hätte, ein gutes Frühstück stärkt die allgemeine Menschenliebe, und so erbot ich mich, ihn nach dem Museum zu geleiten. Unterwegs erkundigte sich der Alte lebhaft nach allen Museen in Amsterdam, im Haag, in Leyden usw. und setzte mich dadurch sehr in Erstaunen, denn ich mußte glauben, in dem zittrigen Greis einen unersättlichen Kunstschwärmer entdeckt zu haben; er bat mich auch, die

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Aurel von Jüchen: Frauenleben im Weltkriege. Xenien-Verlag, Leipzig 1915, Seite 119. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:J%C3%BCchenFrauenlebenImWeltkriege.pdf/121&oldid=- (Version vom 24.7.2016)