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Greis auf meine Frage hin, während er sein Gläschen mit dem unvergleichlichen Fockinglikör zitternd zum Munde führte, „ach, wären wir geflohen! meine Tochter wollte es nicht aus Übermut und Eigensinn. Ihr Schicksal kommt mir gerade so vor, wie das unseres Staates, Belgiens, dessen Verderben auch durch Übermut und Hartnäckigkeit heraufbeschworen wurde. Meine Tochter hatte sich im Übermut verschworen, nicht zu weichen, und war halsstarrig genug, dies durchzusetzen. Die Folgen sehen Sie heute. Sie war von früh auf gewohnt, zu Hause ihren Willen durchzusehen, meine verstorbene Frau liebte sie zu zärtlich, und ich war als Kapitän bei einer großen Dampfschiffahrtsgesellschaft meistens unterwegs; bei der Belagerung hatte das Unglücksmädel aber auch noch viele Bekannte und Nachbarn veranlaßt, mit uns in Antwerpen auszuhalten. Wir besaßen zwei Keller unter dem Hause, und der Zugang zu dem einen war so versteckt, daß nur ein Eingeweihter ihn fand, auch hätte niemand einen zweiten Keller gesucht. In diesem hatten wir uns eingerichtet, ihn mit elektrischem Licht und anderen Bequemlichkeiten ausgestattet, dort wollten wir aushalten, bis die Deutschen, wir hofften es ja noch immer, zurückgeschlagen waren. Ich will Ihnen nicht von unseren Hoffnungen erzählen, die durch die Lügen der Presse immer wieder angestachelt wurden, auch nicht von den Ereignissen, die jeder weiß; noch bis Mittwoch, bis zum 7. Oktober, hat meine Tochter gelacht über alle Bedenken; oh, wir hatten ja so neue, unüberwindliche Befestigungen, und sie hatte solch ein hellklingendes, sonniges Lachen! Da, in der Nacht zum 8. Oktober, begann ein Orkan von Kanonenschüssen, der jedes Herz vor Weh und Graus erstarren machte. Wie hat das gebrüllt, uns die Ohren auseinandergetrieben und die Herzen dazu! Zehn Schläge zählten wir die Minute. Am 8. Oktober morgens gab es einen fürchterlichen Knall: Das Munitionslager flog in die Luft. Nun, dachten wir, kann's nicht mehr schlimmer kommen, doch noch schlimmer erschütterte uns am folgenden Freitagmorgen ein platzender Schlag gerade über

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Aurel von Jüchen: Frauenleben im Weltkriege. Xenien-Verlag, Leipzig 1915, Seite 121. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:J%C3%BCchenFrauenlebenImWeltkriege.pdf/123&oldid=- (Version vom 1.8.2018)